Zynismus ist laut Duden "auf grausame, den Anstand beleidigende Weise spöttisch". Vielleicht könnte man in Zukunft noch einen Querverweis hinzufügen: "Siehe auch Gaskrise in Europa". Denn anhand des Krieges in der Ukraine und der durch Russland provozierten Energiekrise in Deutschland und ganz Europa kann man noch so einiges über Zynismus lernen.

Da ist einerseits das erbärmliche Bild, dass deutsche Politiker*innen bei der Problemanalyse abgeben. Wer hat denn nun Schuld daran, dass sich Deutschland über viele Jahre in eine Abhängigkeit vom russischen Erdgas begeben hat? Die Union ist sich sicher: Die SPD, vor allem Altkanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder, hat die Bundesrepublik den russischen Fängen ausgeliefert. Vielleicht war es aber auch schon Willy Brandt. Die SPD hingegen weist darauf hin, dass vielleicht auch Angela Merkel in den 16 Jahren, in denen sie zwischen 2005 und 2021 die Regierungsgeschicke leitete, ihren Teil zur Abhängigkeit beigetragen haben könnte.

EU will allen Ernstes Erdgas-Technologie fördern

Ganz vielleicht haben aber auch beide Seiten und mit ihnen auch viele Vertreter der anderen Parteien auf die falschen Berater und Lobbyisten gehört? Doch von dem toxischen Einfluss der Interessensvertreter großer Energiekonzerne spricht erstaunlicherweise kaum jemand. Zumindest bis vor kurzem - denn angesichts der offenbar gewordenen Probleme findet doch sicher ein Umdenken in der Europäischen Union statt. Oder?

Nun ja, zumindest hat das Europäische Parlament Gaskraft zusammen mit Atomkraft jetzt als klimafreundlich und nachhaltig eingestuft. Und das am Mittwoch, dem 6. Juli 2022. Also am 133. Tag des Ukrainekriegs. Auf die Idee muss man erst einmal kommen. Sicher, man kann darüber streiten, ob Erdgas vielleicht für einige Jahre ein notwendiges Übel bleiben muss. Aber muss man es deswegen gleich als Zukunftsenergie einstufen? Schließlich wird dies dazu führen, dass Investitionen in die Erdgasinfrastruktur in Zukunft bevorzugt werden. 

Gleichzeitig hat Bundeskanzler Scholz Ende Juni klargestellt, dass jegliche Form der Kooperation mit Russland für unbestimmte Zeit undenkbar sei. Wenn wir aber nicht mit Russland zusammenarbeiten wollen, dann müssen wir uns unser Erdgas wohl per Schiff liefern lassen. Wir werden in Zukunft also Millionen Tonnen Schweröl pro Jahr verbrennen, um uns unser klimafreundliches Erdgas nach Europa zu schippern. Das kann man sich echt nicht ausdenken.

Warum sparen die Kommunen erst jetzt?

Doch in der politischen Krise muss die Klimakrise eben zurückstehen, heißt es. Diese Logik hat nur ein Problem: Seit Jahrzehnten wird darauf hingewiesen, dass durch den Klimawandel auch politische Krisen häufiger werden. Dürren, Flutkatastrophen, steigende Meeresspiegel, sterbende Ozeane. Das alles führt zu Verteilungskonflikten, die in kriegerische Konflikte umschlagen können. Und dass rohstoffreiche Länder wie Russland versuchen, ihren politischen und militärischen Einfluss auszuweiten, solange die Abhängigkeit von Erdgas, Erdöl und Kohle fortbesteht, sollte niemanden verwundern. 

Aber man muss nicht um den halben Globus reisen, um zu erkennen, wie zynisch unser Umgang mit der Energie- und Gaskrise derzeit ist. Es reicht auch der Blick in die Kommunalpolitik. So hat Augsburg jetzt angekündigt, einen Beitrag zum Energiesparen leisten zu wollen. Unter anderem soll überflüssige Beleuchtung und nicht benötigte Ampelanlagen abgeschaltet werden. Auch andere Städte wie Nürnberg haben ähnliche Pläne.

Mich würde dann doch mal interessieren, warum jene Ampelanlagen überhaupt im Einsatz sind, wenn sie kein Mensch braucht? Allerorten werden nun zahlreiche Maßnahmen zum Energiesparen umgesetzt. Warum erst jetzt? Wird nicht seit Jahrzehnten darüber gesprochen, dass man unbedingt die Energieverschwendung abstellen muss, wenn die Auswirkungen des Klimawandels zumindest halbwegs erträglich bleiben sollen? 

Und die Verbraucher? Die machen sich laut zahlreicher Umfragen massive Sorgen wegen der Zukunft und gehen pessimistisch in den Herbst. Schließlich stellen Vermieter mancherorts schon mal ungefragt das Warmwasser für einige Stunden ab. Sicher werden die Bürger jetzt zumindest alles tun, um Energie, Treibstoff und Geld zu sparen. Oder? 

Nun, laut RND liegt beispielsweise der Spritverbrauch der Deutschen seit Beginn des Ukraine-Kriegs höher als im Vergleichszeitraum im Jahr 2019 - vor Ukraine-Krieg und Corona-Pandemie, als die Spritpreise noch fast ein Drittel billiger waren. Frei nach dem Motto: "Rasen gegen Putin und den Klimawandel" - um es einmal zynisch auszudrücken. Immerhin scheint der Zynismus ja gerade sehr im Trend zu liegen.