Update vom 17.03.2023, 15 Uhr: CSU will Klage einreichen

Einen Tag nach der Bundestagsentscheidung zur Wahlrechtsreform hat die CSU beschlossen, Verfassungsbeschwerde einzulegen. Der Beschluss in einer Schalte des CSU-Vorstands am Samstag erfolgte einstimmig, wie aus Teilnehmerkreisen verlautete. Die Verfassungsbeschwerde solle - wie auch eine Klage der bayerischen Staatsregierung - noch vor der Sommerpause eingereicht werden, kündigte CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder an.

Update vom 17.03.2023, 16 Uhr: Wahlrechtsreform wird juristisches Nachspiel haben

Es ist kurz nach elf Uhr, als der Bundestag am Freitagmorgen ein neues Wahlrecht beschließt. Ein historischer Moment, der - soviel sei vorweggenommen - ein juristisches Nachspiel haben wird. Denn seit Tagen drohen CDU und CSU mit Verfassungsklagen. Währenddessen ist CSU-Chef Markus Söder in einem Tierheim in Feucht bei Nürnberg, wo er unter anderem die Patenschaft für die fünfjährige Mischlingshündin Schanti übernimmt. Zweifelsohne ein Wohlfühltermin für den bekennenden Hunde-Fan Söder - doch seine Gedanken dürften im Bundestag gewesen sein. Denn abseits aller Rechtsfragen hat der Bundestagsbeschluss für Söder und die CSU auch strategische Folgen.

"Das ist ein fundamentaler Angriff auf die Demokratie, weil Wählerstimmen plötzlich gestrichen werden. Das ist eine typische Benachteiligung von Bayern", fasst Söder nach dem Termin die Gemengelage aus seiner Sicht zusammen und spricht von massiver Wahlmanipulation. "Und natürlich ist es eine Hardcore-Attacke gegen die CSU. Offenkundig stören wir in Berlin. Es ist der Versuch, den Süden mundtot zu machen."

Was zunächst nur wie eine von vielen Empörungen aus der Union an diesem Tag klingt, lässt erahnen, was das neue Wahlrecht ab sofort für Söder und Co ist: Ein weiterer Beweis für die aus ihrer Sicht durchgehende Benachteiligung Bayerns durch die Ampel-Koalition im Bund. Und mehr noch: Unfreiwillig hat die Ampel damit das nächste Kapitel im bayerischen Landtagswahlkampf auf den Präsentierteller gelegt. Denn, darin sind sich hinter den Kulissen auch außerhalb der CSU viele Politiker einig, nun wird es im Freistaat erst recht eine Trotzreaktion geben. Am 8. Oktober wird sich zeigen, ob die CSU davon profitieren und ihr Landtagswahlergebnis verbessern kann.

Doch zurück zum Wahlrecht. Sollte es dauerhaft Bestand haben, wird sich die Zahl der CSU-Abgeordneten massiv reduzieren. Der Wahlrechtsforscher Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung hat ausgerechnet, dass - verglichen mit den bisherigen Mandaten - nicht mehr 45, sondern nur noch 38 Christsoziale im Bundestag vertreten wären. Zwar müsste die CSU nicht als einzige Partei auf Mandate verzichten - da sie jedoch traditionell besonders viele, wenn nicht gar alle Direktmandate in Bayern holt, wären hier die Folgen der Reform besonders spürbar. In Summe, so das Ziel der Abspeckkur, sollen nur noch maximal 630 Sitze im Bundestag vergeben werden.

Mehrere Klagen sollen ins Bundesverfassunggericht geflattert kommen

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kann sich schon jetzt auf mehrere Klagen einstellen. Neben der von CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt angekündigten abstrakten Normenkontrolle, die ein Viertel der Bundestagsabgeordneten unterstützen müssen, wird auch der Freistaat Bayern klagen. Mutmaßlich wird dies federführend vom Innenministerium in München vorangetrieben. Die Klage sei "nach Inkrafttreten unausweichlich", ärgert sich auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Wann jedoch die Klagen eingereicht werden, konnte am Freitag noch niemand sagen. Auch in der CSU wird derzeit geprüft, inwiefern sie klagen kann - das mindeste dürfte aber eine Verfassungsbeschwerde sein. Ob Deutschlands höchste Richter ihr Urteil etwa in Eilverfahren dann so zeitig fällen, dass es für die Bundestagswahl 2025 greift, sei zu hoffen, aber keineswegs garantiert, heißt es aus der CSU wie von Vertretern der Ampel-Parteien. Andernfalls drohe Deutschland ein noch größeres Problem, sollte sich später herausstellen, dass die Wahl entsprechend des Urteils etwa wiederholt werden müsste.

Dass es wie von FDP und Grünen in dieser Woche angeregt, nun auf Drängen der Union Nachbesserungen an der frisch beschlossenen Novelle geben wird, dürfte ausgeschlossen sein. Für Dobrindt sind die Angebote auch nicht glaubwürdig, da die Ampel ihrerseits am Freitag die Unionsbitte nach einer verschobenen Abstimmung ausgeschlagen habe. "Wir sehen uns in Karlsruhe", gibt er sich auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur kämpferisch.

Update vom 17.03.2023, 12 Uhr: Kann nicht mehr aufgehalten werden - Wahlrechtsreform beschlossen

Der Bundestag hat nach jahrelangem Streit eine Wahlrechtsreform beschlossen, die das Parlament verkleinern und dauerhaft auf 630 Abgeordnete begrenzen soll. Ein Entwurf von SPD, Grünen und FDP erreichte am Freitag in Berlin die erforderliche einfache Mehrheit. 399 Abgeordnete stimmten für die Reform. Wie die stellvertretende Bundestagspräsidentin Aydan Özoguz mitteilte, stimmten 261 Abgeordnete gegen den Gesetzentwurf. 23 Parlamentarier enthielten sich. Während Grüne und FDP geschlossen für die Neuerungen stimmten, gab es bei der SPD zwei Nein-Stimmen und eine Enthaltung.

Union und Linkspartei sehen sich durch die Reform benachteiligt. Sie kündigten jeweils an, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. CDU-Chef Friedrich Merz machte nach der Abstimmung deutlich, dass er ein Normenkontrollverfahren anstrebt. Über das dafür erforderliche Viertel der Stimmen im Bundestag verfüge seine Unionsfraktion.

Politiker der Opposition warfen den Ampel-Fraktionen in der abschließenden Debatte zur geplanten Verkleinerung des Bundestages vor, sie hätten sich ein Wahlrecht zum eigenen Machterhalt maßgeschneidert. Sebastian Hartmann (SPD) sagte, Ziel des Vorhabens sei "ein einfaches, nachvollziehbares Wahlrecht".

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, der Plan ziele darauf ab, die Linke aus dem Parlament zu drängen und "das Existenzrecht der CSU" infrage zu stellen. "Sie machen hier eine Reform für sich selbst", um den "Machtanspruch der Ampel" zu zementieren, warf er Hartmann vor.

Wahlrechtsreform beschlossen: 400 Fürstimmen

Mit der Reform soll der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag ab der nächsten Wahl dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert werden. Erreicht werden soll die Verkleinerung, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet wird. Diese sorgten bislang für eine Aufblähung des Bundestages. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über Direktmandate mehr Sitze im Bundestag erringt als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Sie darf diese Sitze behalten. Die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate. Nach den neuen Regeln könnte es künftig vorkommen, dass ein Bewerber seinen Wahlkreis zwar direkt gewinnt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Das erzürnt vor allem die CSU.

Zudem soll eine strikte Fünf-Prozent-Klausel gelten. Die sogenannte Grundmandatsklausel entfällt. Sie sorgt bisher dafür, dass Parteien auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einzogen, wenn sie unter fünf Prozent lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen. Davon profitierte 2021 die Linkspartei. Wird die Klausel gestrichen, könnte das, je nach Wahlergebnis, künftig auch Konsequenzen für die CSU haben, deren Direktkandidaten in Bayern traditionell die meisten Wahlkreise gewinnen.

"Ich wusste nicht, dass die CSU die Fünf-Prozent-Hürde fürchtet", bemerkte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann, süffisant. Um dieses Risiko zu minimieren, könnten CDU und CSU bei Wahlen künftig als Parteienverbund antreten oder eine Liste eingehen.

Sollgröße konnte nicht erreicht werden: 598 Abgeordnete als zu wenig erachtet

Ursprünglich wollte die Ampel das Parlament sogar wieder auf die Sollgröße von 598 Abgeordneten reduzieren. Nachdem die Union diesen Vorschlag von SPD, Grünen und FDP abgelehnt hatte, der die Streichung der Grundmandatsklausel noch nicht vorsah, präsentierte die Ampel die neue Variante. Das sei das Werk der SPD, die sich davon einen Vorteil erhoffe, nach dem Motto "erst die Partei, dann das öffentliche Wohl", sagte Albrecht Glaser (AfD).

Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, warf der Ampel "Arroganz" vor. Sie habe die Änderung kurz vor der Abstimmung einfach so "hingerotzt". Während seiner Rede applaudierten mehrere Abgeordnete der Union. "Ihnen geht es doch vor allem darum, als SPD eine linke Kritik auszuschalten", schimpfte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte, das Problem der Linken sei nicht das Wahlrecht, sondern ihre internen Auseinandersetzungen, vor allem mit der Abgeordneten Sahra Wagenknecht.

Eine Bitte des Unionsfraktionsvorsitzenden Friedrich Merz (CDU), die Abstimmung um zwei Wochen zu verschieben, da die kurzfristig vorgelegten Änderungen erheblich seien und viel Beratungsbedarf ausgelöst hätten, wies SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zurück.

Der Bundesrat muss sich auch noch mit dem Gesetzentwurf befassen, kann ihn aber nicht aufhalten.

Original-Meldung vom 17.03.2023, 9.30 Uhr

Am Freitag (17. März 2023) wird im Bundestag über die Wahlrechtsreform abgestimmt. Aktuell sitzen dort 736 Abgeordnete. Der Vorschlag von SPD, Grünen und FDP sieht vor, dass der Bundestag ab der nächsten Wahl dauerhaft wieder auf 630 Mandate verkleinert wird.

Unter anderem soll es künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben. Auch die sogenannte Grundmandatsklausel soll entfallen. Sie bewirkt, dass eine Partei auch nach ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einzieht, wenn sie zwar die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt, aber mindestens drei Direktmandate gewonnen hat. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sowie der CSU-Generalsekretär Martin Huber kritisieren den Vorschlag der Ampel-Koalition zur Wahlrechtsreform scharf.

"Wirkt wie ein gezielter Angriff auf die CSU": Schäuble kritisiert Wahlrechtsreform

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat der Vorschlag der Ampel-Koalition zu Wahlrechtsreform scharf kritisiert. "Hier wird ein System geschaffen, das auf Täuschung und Enttäuschung des Wählers ausgelegt ist. Ihm wird suggeriert, er könne seine Wahlkreiskandidaten direkt wählen – dabei wird der Kandidat am Ende womöglich gar nicht ins Parlament gelangen", sagte der CDU-Politiker dem "Spiegel". Eine solche "Irreführung der Wähler" sei auch ein verfassungsrechtliches Problem.

Schäuble sagte zu dem Reformvorschlag: "Das wirkt wie ein gezielter Angriff auf die CSU und damit gegen eine Partei, die seit 70 Jahren unsere Demokratie im Parlament maßgeblich mitgestaltet hat."

Für die Reform muss das Bundeswahlgesetz geändert werden. Die Ampel wird dies voraussichtlich mit ihrer Mehrheit beschließen. Schäuble sagte, dass die Union bei einem entsprechenden Bundestagsbeschluss klagen müsse. "Dieses Vorhaben muss gestoppt werden." Auch CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder hatten zuletzt mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht. Schäuble hatte als Bundestagspräsident selbst mehrfach erfolglos versucht, mit den Fraktionen eine Lösung für eine Verkleinerung des Bundestags zu finden.

"Völlig absurd": CSU-Generalsekretär spricht sich ebenfalls gegen Wahlrechtsreform aus 

CSU-Generalsekretär Martin Huber hat sich entschieden gegen die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition ausgesprochen. Wenn ein Kandidat einen Wahlkreis direkt gewinne und am Ende unter Umständen nicht in den Bundestag einziehe, bilde das nicht den Wählerwillen ab, sei unrepräsentativ und "völlig absurd", sagte Huber am Freitag im Deutschlandfunk.

CDU und CSU hätten auch Vorschläge unterbreitet, die die Regierung jedoch ignoriert habe, sagte Huber. "Die Union hat im Zuge der jetzigen Verhandlungen auch vorgeschlagen, die Zahl der Bundeswahlkreise nochmals zu verringern, von 280 auf 270. Auch das würde zu einer Verkleinerung des Bundestages beitragen."

Auf die Frage zu einer möglichen Fusion der CSU mit der CDU antwortete Huber: "Ich halte diesen Vorschlag für absolut anmaßend und arrogant, wenn man einer Partei vorschreiben will, dass sie sich auflöst und einer anderen Partei anschließt". Huber zufolge bilden CDU und CSU gemeinsam die "starke Union".

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