Deutschland
Weihnachten 2020

Mythos "Weiße Weihnachten" - der Faktencheck: Erinnern wir uns alle falsch?

Wer sich in den vergangenen Jahren weiße Weihnachten erhoffte, wurde hierzulande nicht selten enttäuscht. Aber fiel früher tatsächlich häufiger Schnee an den Festtagen? Wir werfen einen Blick auf die Wetterstatistik und machen den Faktencheck.
Weiße Weihnachten - nur eine trügerische Erinnerung?
Weiße Weihnachten - nur eine trügerische Erinnerung? Foto: unsplash.com

Beim Thema weiße Weihnachten gehen die Meinungen auseinander. Die einen halten es für reinen Kitsch, andere wollen sich Feiertage ohne Schnee gar nicht ausmalen.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) spricht von weißen Weihnachten, wenn an allen Festtagen (Heiligabend, erster und zweiter Weihnachtsfeiertag) morgens um 7 Uhr mindestens ein Zentimeter Schnee liegt.

Weiße Weihnachten - nur eine blasse Erinnerung?

Weihnachten, wie wir uns erinnern: In unserer Kindheit streifte man an Heiligabend durch verschneite Straßen zur Kirche, baute Schneemänner und beharkte sich in Schneeballschlachten. Heute dagegen schneit es nur noch selten, grüne Weihnachten sind deutlich häufiger geworden. Oder? Täuscht uns hier unser Gedächtnis?

"Traditionell gibt es um Weihnachten eher mildes Wetter", erklärt Heiko Paeth, Professor für Geographie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Diese Erfahrung schlägt sich auch im "Hundertjährigen Kalender" nieder. Hier ist vom "Weihnachtstauwetter" die Rede.

Den Dezember als schneereichsten Monat anzusehen, ist ein weit verbreiteter Irrglauben.  Die kältesten Abschnitte im Jahr sind in der Regel von Ende Januar bis Anfang Februar, weiß DWD-Meteorologe Andreas Friedrich.

Weiße Weihnachten oder grüne Weihnachten - so ist die Faktenlage

Wir haben uns Wetterdaten angesehen, um diesem Widerspruch zwischen Erinnerung und Meteorologen-Aussage auf den Grund zu gehen. Exemplarisch haben wir Schneehöhen an zehn fränkischen Orten ab 1950 verfolgt – so die Daten vollständig waren auch ab 1979.

Je nach Höhenlage und lokalen Besonderheiten gibt es gewisse Abweichungen, doch eines haben alle Wetterkurven gemein: Es ist kein klarer Trend zu erkennen. Immer wieder gibt es schneereiche Weihnachten, doch waren diese früher nicht häufiger als heute.

Warum fällt an Weihnachten so selten Schnee?

Heiko Paeth erklärt, wieso: "Das Wetter in unserer Region wird maßgeblich von der 'Nordatlantischen Oszillation' beeinflusst. Um Weihnachten treiben häufig Westwinde wärmere Luftmassen vom Atlantik zu uns – es wird mild." Heiligabend mit Schnee  das ist also nicht die Regel. Im Durchschnitt liegt am 24. Dezember etwa alle vier Jahre Schnee, und sei es auch nur ein kleiner Zuckerguss. Das ergab die Analyse der Daten unserer zehn Messpunkte seit 1979. Selbst der schneereiche Spitzenreiter Hof kommt nur auf 18 Weihnachten mit Schnee seit 1979.

Doch die Tendenz ist klar: Schnee an Heiligabend kann man nicht erwarten und konnte es auch noch nie. Das zeigt eine weitere Auswertung der Daten des Deutschen Wetterdiensts. Bei den Durchschnittswerten der Jahrzehnte gibt es immer wieder Ausreißer. Zwar gab es 2010 in Deutschland fast flächendeckend weiße Weihnachten und auch in den 1960er Jahren waren viele deutsche Orte über die Feiertage verschneit, doch lässt sich daraus kein genereller Trend ableiten, weiß auch DWD-Meteorologe Andreas Friedrich.

Wer auf weiße Weihnachten aus ist, sollte einen Umzug in Erwägung ziehen. Betrachtet man ganz Deutschland, zeigen sich deutliche regionale Unterschiede. Auf der Zugspitze ist jedes Jahr weiße Weihnacht, auf Helgoland können das die Menschen nur etwa alle 50 Jahre erwarten.

Weiße Weihnacht - das sind die Voraussetzungen

Wie lautet das Rezept für weiße Weihnachten? „Schnee muss schon gefallen sein oder fallen, die Temperaturen müssen unter dem Gefrierpunkt liegen und der Boden muss gefroren sein“, sagt Diplom-Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetter-Dienst.

Seltsamerweise scheinen diese Faktoren ausgerechnet an Weihnachten seltener zusammenzukommen: Um den 24. Dezember herum gebe es etwas häufiger milde Temperaturen, die Schnee wegtauen oder gar nicht erst liegenbleiben lassen. „Warum das ausgerechnet an Weihnachten passiert? Man weiß es nicht.“  

Warum also trauern wir Jahr um Jahr still angesichts grüner Wiesen mit einem "Früher war das aber anders..." auf den Lippen? Das liegt unter anderem an unserem Gedächtnis, sagt Fritz Strack, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Würzburg.

Weiße Weihnachten - nur eine trügerische Erinnerung?

Zum Einen sei Gedächtnis nicht gleich Gedächtnis, erklärt er. "Im episodischen Gedächtnis speichern wir ab, wie genau etwas gewesen ist. Sie wissen dann noch, wie das Wetter zu Weihnachten war, wer alles da war und was es zu essen gab." Wegen der begrenzten Kapazität des Gehirns werden solche Erinnerungen jedoch schnell gelöscht.

"Was bleibt ist das semantische Gedächtnis", erklärt Strack. Hier spielen aber auch Einschätzungen, Urteile und fremde Ideen eine Rolle. "Hier kommt es auch darauf an, wie etwas sein sollte", sagt der Psychologe. "Wir wissen beispielsweise vom Klimawandel. Wir wissen also, dass es früher kälter gewesen sein muss." Tendenziell glauben wir deshalb, dass es früher öfters Schnee gab. Wir glauben es nicht nur, wir erinnern uns sogar daran.

Im Fernsehen und auf Bildern - überall wird uns suggeriert, Weihnachten und Schnee gehören zusammen. Und irgendwann speichert das Gehirn das auch so ab. "Unser Gedächtnis konstruiert Erinnerungen", erklärt Strack. Außerdem bleiben uns Ereignisse, die außergewöhnlich waren, präsenter. "Ankererinnerungen" nennt Strack das.

Noch ein Grund: der Klimawandel

Die Winter werden aber tatsächlich immer wärmer. Nach DWD-Angaben ist es in Deutschland seit 1881 im Dezember um 1,7 Grad wärmer geworden. Im Dezember 2018 lag die Durchschnittstemperatur bundesweit demnach bei 3,9 Grad. Die Temperaturen fallen seltener unter den Gefrierpunkt. 

Unabhängig davon gab es schon immer eher grüne Weihnachten. "Allein das Wort 'Weihnachtstauwetter' impliziert ja, dass es vorher schon mal geschneit hat", sagt Klimaforscher Paeth. 

Unsere Methode

Bei unserer Betrachtung der Daten des Deutschen Wetterdiensts sind wir so vorgegangen: Es wurden Messstationen ausgesucht, die möglichst über Franken verteilt sind. Voraussetzung waren vollständige Daten in einem gewissen Zeitraum. Bei fünf Orten hatten wir Daten ab 1950: Bamberg, Kronach, Würzburg, Hof und Schlüsselfeld. Bei weiteren fünf Orten liegen lückenlose Daten nur ab 1979 vor: Kulmbach-Burghaig, Geiselwind, Sonnefeld-Gestungen und Königsfeld.

Bei der Recherche konzentrierten wir uns außerdem auf Heiligabend selbst, nicht auf alle drei Weihnachtstage. Sowohl bei der Betrachtung weiterer Standpunkte als auch aller drei Weihnachtstage könnten sich Abweichungen im Detail ergeben, doch die Tendenz bleibt die gleiche. Daher beschränkten wir uns auf die genannten Orte.

Die Daten stammen sind inklusive dem Jahr 2017 gesammelt worden - da sich seitdem nichts signifikant geändert hat, zumal die historischen Daten sich nicht geändert haben, haben die getroffenen Aussagen immer noch Gültigkeit. 

Weiße Weihnachten? Hier noch einmal die Schneehöhen im Überblick:

Datum
Durchschnitt
Bamberg
Kronach
Würzburg
Hof
Schlüsselfeld
24.12.1950
8,2
5
8
10
8
10
24.12.1951
0
0
0
0
0
0
24.12.1952
3,4
0
2
0
15
0
24.12.1953
0,6
0
0
0
3
0
24.12.1954
2
0
4
0
5
1
24.12.1955
0
0
0
0
0
0
24.12.1956
11,4
16
5
7
15
14
24.12.1957
1,4
0
3
0
3
1
24.12.1958
0
0
0
0
0
0
24.12.1959
0
0
0
0
0
0
24.12.1960
7
1
13
0
14
7
24.12.1961
1,8
0
2
0
7
0
24.12.1962
12,6
12
10
14
17
10
24.12.1963
2,6
2
2
2
7
0
24.12.1964
0,2
0
0
0
1
0
24.12.1965
2
0
0
0
10
0
24.12.1966
0,2
0
0
0
1
0
24.12.1967
0
0
0
0
0
0
24.12.1968
0,6
0
2
0
1
0
24.12.1969
20
19
10
20
23
28
24.12.1970
1,2
0
0
0
5
1
24.12.1971
0
0
0
0
0
0
24.12.1972
0
0
0
0
0
0
24.12.1973
2,8
0
4
0
8
2
24.12.1974
0
0
0
0
0
0
24.12.1975
0,4
0
0
0
2
0
24.12.1976
2,2
1
0
1
5
4
24.12.1977
0
0
0
0
0
0
24.12.1978
3,4
1
4
1
7
4
24.12.1979
0,2
0
0
0
2
0
24.12.1980
0
0
0
0
0
0
24.12.1981
24,4
21
26
8
42
17
24.12.1982
0
0
0
0
0
0
24.12.1983
0
0
0
0
0
0
24.12.1984
0
0
0
0
0
0
24.12.1985
0
0
0
0
0
0
24.12.1986
11,5
8
9
6
20
14
24.12.1987
0
0
0
0
0
0
24.12.1988
0
0
0
0
0
0
24.12.1989
0
0
0
0
0
0
24.12.1990
3,2
1
5
0
8
3
24.12.1991
0
0
0
0
0
0
24.12.1992
0
0
0
0
0
0
24.12.1993
2
0
0
0
11
0
24.12.1994
0,1
0
0
0
1
0
24.12.1995
0,1
0
0
0
1
0
24.12.1996
3,7
4
1
4
4
7
24.12.1997
0,5
0
0
0
3
0
24.12.1998
2,8
2
4
0
5
1
24.12.1999
6,7
3
5
6
9
7
24.12.2000
0
0
0
0
0
0
24.12.2001
18,9
10
31
7
24
14
24.12.2002
0
0
0
0
0
0
24.12.2003
1
0
0
1
5
0
24.12.2004
0,7
0
0
0
7
0
24.12.2005
1,7
0
0
0
7
3
24.12.2006
0
0
0
0
0
0
24.12.2007
1,3
0
3
0
3
0
24.12.2008
0
0
0
0
0
0
24.12.2009
1,3
0
0
2
6
0
24.12.2010
16,4
3
24
3
42
6
24.12.2011
0
0
0
0
0
0
24.12.2012
0
0
0
0
0
0
24.12.2013
0
0
0
0
0
0
24.12.2014
0
0
0
0
0
0
24.12.2015
0
0
0
0
0
0
24.12.2016
0
0
0
0
0
0
24.12.2017
0
0
0
0
0
0
Datum
Nürnberg
Kulmbach-Burghaig
Geiselwind
Sonnefeld-Gestungen
Königsfeld
24.12.1979
0
0
0
0
0
24.12.1980
0
0
0
0
0
24.12.1981
5
30
16
32
47
24.12.1982
0
0
0
0
0
24.12.1983
0
0
0
0
0
24.12.1984
0
0
0
0
0
24.12.1985
0
0
0
0
0
24.12.1986
5
8
13
8
24
24.12.1987
0
0
0
0
0
24.12.1988
0
0
0
0
0
24.12.1989
0
0
0
0
0
24.12.1990
0
0
2
6
7
24.12.1991
0
0
0
0
0
24.12.1992
0
0
0
0
0
24.12.1993
0
0
2
0
7
24.12.1994
0
0
0
0
0
24.12.1995
0
0
0
0
0
24.12.1996
8
0
1
5
3
24.12.1997
0
0
0
0
2
24.12.1998
2
5
3
2
4
24.12.1999
6
7
3
10
11
24.12.2000
0
0
0
0
0
24.12.2001
10
20
28
13
32
24.12.2002
0
0
0
0
0
24.12.2003
1
0
0
0
3
24.12.2004
0
0
0
0
0
24.12.2005
0
0
0
0
7
24.12.2006
0
0
0
0
0
24.12.2007
0
2
3
0
2
24.12.2008
0
0
0
0
0
24.12.2009
0
0
2
3
0
24.12.2010
4
20
20
9
33
24.12.2011
0
0
0
0
0
24.12.2012
0
0
0
0
0
24.12.2013
0
0
0
0
0
24.12.2014
0
0
0
0
0
24.12.2015
0
0
0
0
0
24.12.2016
0
0
0
0
0
24.12.2017
0
0
0
0
0
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