Krankenkassenbeiträge werden laut Karl Lauterbach ab 2023 erhöht Zusätzliche Änderung: Krankenkassen müssen vorab nicht Bescheid geben Kritik an ausgesetzter Informationspflicht: Bund hatte "Schnapsidee" Lohnt sich ein Krankenkassenwechsel und was gibt es zu beachten? Alles wird teurer: Zunächst machten sich die steigenden Preise im Supermarkt und an den Tankstellen bemerkbar, dann auf der Stromrechnung und nun auch noch bei den Krankenkassenbeiträgen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte bereits angekündigt, dass der Zusatzbeitrag 2023 um ein Stück angehoben werden: nämlich um 0,3 Prozentpunkte auf 1,6 Prozent. Nun hat der Bund aber zusätzlich veranlasst, dass Versicherte nicht einmal über die Erhöhung informiert werden sollen. Zumindest für einen bestimmten Zeitraum. Krankenkassenbeiträge 2023: So viel geht vom Bruttogehalt weg Zusammen mit dem allgemeinen Beitragssatz von derzeit 14,6 Prozent müssten dann 16,2 Prozent vom Bruttolohn für die Krankenversicherung abgeführt werden. Damit würde der Beitrag zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf einen Rekordwert steigen. Grund sind nicht zuletzt die hohen Gesundheitskosten, die weiterhin durch die Corona-Pandemie verursacht werden. Normalerweise haben Krankenkassen die Pflicht, ihre Versicherten vorab schriftlich zu informieren, sollten die Beitragssätze steigen. Dazu zählt auch der Hinweis, dass ein Wechsel zu einer anderen gesetzlichen Krankenkasse möglich ist, und zwar unabhängig vom Alter und Gesundheitszustand der Versicherten. Diese Pflicht gilt aber nicht im ersten Halbjahr 2023. Doch warum hat der Bund diese Änderung überhaupt beschlossen? Eine Sparmaßnahme steckt dahinter: Die Krankenkassenbeiträge werden zum Jahreswechsel erhöht, um ein finanzielles Defizit von 17 Milliarden Euro auszugleichen. Denn die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen war bereits zum ersten Halbjahr 2022 kritisch. Lauterbach sprach von einem "historischen Defizit", wies aber auch darauf hin, die schwierige Lage von seinem Vorgänger "geerbt" zu haben. Mithilfe der ausgesetzten Informationspflicht sollen noch einmal 100 Millionen Euro eingespart werden. Der SPD-Politiker möchte zudem vermeiden, dass die Preise einer Krankenkasse das ausschlaggebende Kriterium für Versicherte sind, sondern vielmehr die angebotenen Leistungen. Krankenkassen setzen Informationspflicht aus: Experte übt Kritik Die Aussetzung der Informationspflicht wird prompt kritisiert: "Transparenz geht anders", urteilt beispielsweise Hermann-Josef Tenhagen auf seiner Twitter-Seite. Der Wirtschaftsjournalist ist Geschäftsführer der Finanztip Verbraucherinformation GmbH und befürchtet, dass viele Versicherte die steigenden Kosten gar nicht mitbekommen werden. Bei einer Erhöhung der Beiträge gilt nämlich ein Sonderkündigungsrecht, um den Wechsel zu einer anderen Krankenkasse zu ermöglichen. Doch um dieses anzuwenden, müssen Versicherte natürlich erst von der Erhöhung wissen. "Schaust du monatlich auf die Lohnabrechnung? Briege schreibt die Kasse nicht mehr. Mist!", lautet das Fazit des Finanzexperten. Seiner Meinung nach handle es sich dabei um eine "Intransparenzoffensive" des Bundes und eine "Schnapsidee", schreibt Tenhagen zudem in seiner Spiegel-Kolumne. Mit welcher finanziellen Belastung Versicherte rechnen müssen Ein Krankenversicherungsbeitrag von 16,2 würde einen Anstieg in Rekordhöhe bedeuten, den insbesondere Versicherte zu spüren bekommen. Der allgemeine Beitragssatz der GKV ist festgelegt und liegt bei 14,6 Prozent des Bruttoeinkommens. Im Jahr 2015 wurde ein Zusatzbeitrag für gesetzlich Versicherte eingeführt, um finanzielle Engpässe auszugleichen und die Kassen wettbewerbsfähiger zu halten. Für Angestellte und Rentenbeziehende wird die Hälfte des Beitrags vom Arbeitgeber übernommen. Folgende Beispielrechnungen zeigen, wie teuer die Krankenversicherung 2023 werden könnte: Verdienst von 3000 Euro brutto im Monat: rund 50 Euro mehr im Jahr für Krankenversicherung Verdienst von 4000 Euro brutto im Monat (aktueller Durchschnittsverdienst in Deutschland): 72 Euro mehr pro Jahr für die Krankenversicherung Lohnt sich der Krankenkassenwechsel aktuell? Allerdings entscheidet jede Kasse individuell über die Höhe des Zusatzbeitrags. Was konkret bedeutet: Je nach Krankenkasse kann die Summe höher oder niedriger ausfallen. Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung stößt in der Gesellschaft auf starke Kritik. Wer die Beitragserhöhung nicht ohne weiteres hinnehmen möchte, sollte sich jetzt über die eigenen Optionen informieren, erklären die Expert*innen des Versicherungsmanagers Clark mit Sitz in Frankfurt/Main. Betroffene sollten demnach zunächst die Möglichkeit eines Tarifwechsels überprüfen. "Bei einer Erhöhung der Beiträge muss die Krankenkasse rechtzeitig darüber informieren und ein Sonderkündigungsrecht einräumen - die Gelegenheit für einen Krankenkassenwechsel", so die Versicherungsfachleute. Denn: Die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherer in Deutschland unterscheiden sich zum Teil erheblich. Eine weitere Option sei ein Wechsel in die private Krankenversicherung, der sich unter Umständen finanziell lohnen könnte. "Für diese Alternative müssen Betroffene aber bestimmte Voraussetzungen erfüllen", heißt es in einer Clark-Pressemitteilung. Privat versichern kann sich nur, wer nicht der Versicherungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, wie beispielsweise Selbstständige, Beamte oder Studierende. Für Angestellte gilt eine Versicherungspflichtgrenze, die 2022 bei einem Bruttojahresgehalt von 64.350 Euro lag. Gutverdiener könnten so um die Beitragserhöhungen herum kommen, denn trotz Inflation und finanzieller Belastung durch die Corona-Krise haben sich einige private Krankenversicherungen schon jetzt dazu bekannt, ihre Beiträge 2023 nicht anzuheben. Im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung sind die Beiträge der privaten Kassen zudem nicht an das jeweilige Gehalt, sondern an die vereinbarten Leistungen, das Alter bei Abschluss und den individuellen Gesundheitszustand geknüpft. "Beitragszahlende werden leiden": Nur kurzfristige Entlastungseffekte erwartet Die Erhöhung des Zusatzbeitrags ist Bestandteil des sogenannten GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG), zu dem am 27. Juli 2022 ein Kabinettsbeschluss getroffen wurde. Wie schon bei Lauterbachs Ankündigung Ende Juni, die breite Kritik und die Befürchtung weiterer Beitragserhöhungen in den kommenden Jahren nach sich zog, waren die Reaktion mehrheitlich negativ. So erklärte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, in einer Mitteilung: "Wir müssen leider feststellen, dass auch mit dem Kabinettsentwurf weiterhin nur kurzfristige Entlastungseffekte erreicht, die strukturellen Probleme hingegen nicht gelöst werden. Darunter werden vor allem die Beitragszahlenden leiden, die die Hauptlast der erforderlichen Mehreinnahmen aufbringen sollen." Auch der AOK-Bundesverband erneuerte seine Kritik an wesentliche Regelungen des GKV-FinStG. "Dieses Gesetz enthält keinerlei Maßnahmen für eine kurz- oder langfristige Stabilisierung der GKV-Finanzen. Beiträge werden hochgeschraubt, Rücklagen eingezogen und Schulden gemacht", bemängelt Vorstandsvize Jens Martin Hoyer in einer Pressemitteilung. Auch marginale Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf wie etwa die einmalige Erhöhung des Herstellerabschlags im Arzneimittelbereich oder die Aussetzung der verschärften Regelungen zur Anhebung des Zusatzbeitrags für ein Jahr würden am grundsätzlichen Befund nichts ändern. "Diese kosmetischen Anpassungen verstärken den Eindruck, dass das Ziel einer nachhaltigen Finanzierung der GKV weit verfehlt wird. Es handelt sich um ein kurzatmiges Einjahres-Gesetz", so Hoyer. Kein strukturelles Problem werde damit gelöst. Kommt eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente? Der Vorschlag der AOK:  Die Verpflichtung auf kostendeckende Pauschalen für die Gesundheitsversorgung von ALGII-Beziehenden durch den Bund und die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel solle angegangen werden. "Es ist nicht nachvollziehbar, wieso die Solidargemeinschaft nach wie vor den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Humanarzneimittel entrichten muss, während beispielsweise für Tierarzneimittel der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gilt", so der AOK-Vorstandsvize. Ähnlich sieht es die Techniker-Krankenkasse (TK): Ein Großteil der vorgestellten Maßnahmen gehe zulasten der Beitragszahlenden. Mehr als zwölf Milliarden Euro des Defizits sollen vollständig von den Beitragszahlenden finanziert werden. Diese würden somit überproportional herangezogen, teilt die Krankenversicherung mit. Vor dem Hintergrund der hauptsächlich von der Politik verursachten Finanzierungslücke falle der zusätzliche und einmalige Bundeszuschuss in Höhe von zwei Milliarden Euro viel zu gering aus. Auch die TK spricht sich für "sinnvolle Strukturreformen und eine nachhaltige Ausgabendämpfung" aus. Als Beispiele führt sie die Anhebung der Finanzierung der Beiträge für ALG-II-Empfänger*innen, die Anwendung des geminderten Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel sowie ein konsequenterer Reformschritt beim Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), das die Preise für innovative Medikamente in Deutschland regelt. Endgültige Entscheidung soll im Herbst folgen Endgültig festgelegt wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag für gesetzlich Versicherte der Krankenkassen durch einen offiziellen Schätzerkreis erst im Herbst 2022. In diesem Jahr bekommen die Kassen schon einen aufgestockten Bundeszuschuss von 28,5 Milliarden Euro. Damit sollte der durchschnittliche Zusatzbeitrag vorerst bei 1,3 Prozent gehalten werden. Wenn es tatsächlich zur Anhebung des Krankenversicherungsbeitrags im geplanten Umfang kommt, dürften damit auch die Sozialbeiträge insgesamt im Jahr 2023 den höchsten Wert seit 2007 erreichen. Ein weiterer Grund: Die in der Arbeitslosenversicherung seit 2019 geltende zeitweise Absenkung um 0,2 Prozentpunkte läuft Ende 2022 aus. Da Kinderlose in der Pflegeversicherung mehr zahlen, summieren sich für sie alle Beiträge 2023 auf 40,8 Prozent. Für Beschäftigte mit Kindern sind es 40,45 Prozent des Bruttolohns.