Sie sind selten, aber es gibt sie immer noch: Menschen, die noch nie Corona hatten. Wenn man bedenkt, dass noch vor wenigen Monaten jeden Tag ein neuer Rekord an Neuinfektionen aufgestellt wurde, ist das schon beachtlich. Ist ihr Immunsystem stärker oder hatten sie einfach Glück? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Forschende haben aber inzwischen verschiedene Erklärungsansätze gefunden, wieso sich manche Leute nicht infiziert haben. Der erste Grund ist wahrscheinlich der einfachste: Es gibt viele Infektionen, die nur sehr milde oder sogar vollkommen unbemerkt verlaufen. Selbst bei Positiv-Getesteten haben rund 40 Prozent zum Testzeitpunkt keine Krankheitsanzeichen. Das fand eine Überblicksarbeit von Forschenden aus China heraus, die im "Jama Network" veröffentlicht wurde. Dabei wurden knapp 100 internationale Studien mit Daten von insgesamt fast 30 Millionen Menschen verwendet. Die unbemerkten Infektionen lassen sich dagegen schwer berechnen. Gute Gene oder einfach Zufall? Deshalb hatte noch nicht jeder Corona Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach schätzte die Dunkelziffer in der Omikron-Welle im Sommer auf 50 Prozent. Dem stimmte auch Thorsten Lehr, Professor für Pharmazie an der Universität des Saarlandes zu. Lehr hat den "Covid-Simulator" entwickelt, der wie viele weitere Forschungsmodelle die Wahrscheinlichkeiten für den weiteren Pandemieverlauf berechnen soll. "Bei der Dunkelziffer halte ich mindestens Faktor 2 bis maximal Faktor 3 für möglich", sagte Lehr ZDFheute. Um genauere Aussagen zu treffen, bräuchte es seiner Meinung nach jedoch regelmäßig große Stichproben-Tests. Die Testhäufigkeit spielt grundsätzlich eine große Rolle bei der Erkennung von Corona-Infektionen. Wer sich nur unregelmäßig testet, wird eine milde oder asymptomatische Infektion auch leichter übersehen. Trotz hoher Dunkelziffer gibt es aber tatsächlich Menschen, die sich nicht so leicht mit Corona infizieren. Hier werden die Gründe etwas komplizierter. Es können zum einen die Gene eine Rolle spielen. "Es gibt Menschen, die aufgrund genetischer Merkmale zum Beispiel schlecht mit Malaria oder HIV infiziert werden können. In gewissen Abstufungen wird es das auch bei Sars-CoV-2 geben", erklärt Leif Sander, Leiter der Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur betonte Sander jedoch, dass die genetischen Faktoren noch nicht komplett verstanden seien. Ulf Dittmer vom Virologie-Instituts des Uniklinikums Essen, nennt die sogenannten HLA-Moleküle als einen der genetischen Faktoren. Diese Teilchen gehören zur genetischen Ausstattung unseres Immunsystems und sitzen auf den weißen Blutkörperchen. Laut Dittmer sind sie auch für den Schutz gegen Covid-19 wichtig. Zudem gibt es inzwischen mehrere Studien, die auf einen Zusammenhang zwischen Ansteckungsgefahr und Blutgruppe hinweisen. Menschen mit der Blutgruppe 0 hätten demnach ein geringeres Infektionsrisiko. Die Blutgruppe AB sei dagegen anfälliger für eine Corona-Erkrankung.  Infektiologe: "Corona-Impfung reduziert immer noch Ansteckungen" Auch die Schwere der Infektion soll durch die Blutgruppe beeinflusst werden. Die Ergebnisse des deutsch-norwegischen Forschungsteams konnte die anderen Studien zu Corona und Blutgruppen allerdings nicht bestätigen. Ein weiterer Grund, wieso sich manche nicht anstecken, könnte die Corona-Impfung sein. Zwar singt der Spiegel der Antikörper im Blut nach der Impfung ab. "Der Schutz bleibt aber trotzdem über Monate signifikant. Auch das reduziert immer noch Ansteckungen", so Infektiologe Sander. Die Reaktion des Immunsystems auf die Impfung ist außerdem von Mensch zu Mensch verschieden. "Wenn die Antwort besonders gut ausfällt, kann auch die Kombination aus Impfung und einer vorherigen Infektion mit einem der vier normalen Erkältungscoronaviren eine Rolle spielen", sagt der Charité Professor im Gespräch mit der dpa. Diese sogenannte "Kreuzimmunität" findet sich ebenfalls in Studien wieder. Ein britisches Forschungsteam hat zum Beispiel herausgefunden, dass bestimmte Abwehrzellen unseres Immunsystems eine Art Gedächtnis entwickeln: Sie reagieren nicht wie andere Antikörper auf das Spike-Protein der Coronaviren. Dies unterscheidet sich nämlich von Virus zu Virus und sorgt dafür, dass der Erreger in die Zellen eindringen kann. Die "T-Gedächtnis-Zellen" werden aber gegen einen Baustein im Virus aktiv, der für die Vermehrung zuständig ist - der ist bei vielen Viren aus der Corona-Familie gleich. Wer also schon mal eine Erkältung durch "herkömmliche" Coronaviren hatte, kann auch Sars-CoV-2 besser abwehren. Immunsystem kann Covid-Infektion abbrechen: Das steckt dahinter An der Begründung, dass manche Menschen ein stärkeres Immunsystem haben, könnte ebenfalls etwas dran sein. Bei manchen Menschen schmeißt das Immunsystem das Virus möglicherweise schneller wieder aus dem Körper heraus, so Sander. "In einer schwedischen Studie haben Forscher bei Menschen, die nach Kontakten zu infizierten Haushaltsmitgliedern nicht positiv geworden sind, spezifische T-Zellen gefunden - ein Zeichen, dass sich deren Immunsystem durchaus mit Sars-CoV-2 auseinandergesetzt hat, auch wenn eine Infektion und auch Antikörper gegen das Virus nicht immer nachweisbar waren", erklärt er. Eine Londoner Studie hat einen ersten Hinweis für diese Theorie gefunden. Mehrere Probanden hatten ein erhöhtes Level an T-Zellen im Blut. Dies sind weiße Blutkörperchen und für das Erkennen von körperfremden Strukturen wie Viren zuständig. Das Immunsystem war demzufolge am Arbeiten. Doch wie in der schwedischen Studie, hatten die untersuchten Personen weder einen positiven PCR-Test, noch Antikörper im Blut. Die Antikörper sind normalerweise der Beweis für eine vorangegangene Infektion. Die britischen Forschenden fanden aber neben den T-Zellen noch etwas anderes: das Immunprotein "IFI27". Laut Studie könnte das Protein auf einen vorangegangenen Kontakt mit dem Coronavirus hinweisen. Der Theorie zufolge kam es also zu einer Infektion, die aber durch das Immunsystem abgebrochen wurde. Die Wissenschaftler*innen sprechen von einer "abortiven Infektion". Bei Kindern gibt es Sander zufolge ein spezielles Phänomen. Ihr Immunsystem sei generell stärker aktiviert, es ist sozusagen oft schon in Alarmbereitschaft. Dadurch haben Kinder bessere Abwehrkräfte. Zudem gebe es den Effekt, dass Menschen direkt nach einem Infekt für ein paar Tage generell weniger empfänglich sind für den nächsten lauernden Erreger. "Das liegt unter anderem an den sogenannten Interferonen, besonderen Abwehrstoffen in der Schleimhaut, die im Fall eines Kontakts in dem Zeitfenster auch die Empfänglichkeit für Sars-CoV-2 reduzieren." Ein vorübergehend gestärktes Immunsystem kann eine Covid-Infektion somit ebenfalls verhindern. Überblick und Fazit: Wieso waren einige noch nie mit Corona infiziert? Hier sind die Gründe, wieso sich manche Menschen scheinbar nicht mit Corona anstecken, nochmal im Überblick: Infektion verlief unbemerkt - etwa durch fehlendes Testen oder fehlende Symptome genetische Veranlagung, zum Beispiel die Blutgruppe besserer Schutz durch Corona-Impfung besserer Schutz durch Kreuzimmunität besserer Schutz durch starkes Immunsystem, grundsätzlich oder vorübergehend (nach Infekt) Letztlich kann es auch einfach Zufall sein, dass sich jemand noch nicht infiziert hat. Außerdem heißt das nicht, dass man sich nie anstecken wird. "Dass man Corona bisher nicht hatte, heißt nicht, dass man für alle Zeit safe ist. Das kann schon mit einer neuen Virusvariante oder situationsabhängig ganz anders aussehen", warnt Sander. Und neue Varianten gibt es inzwischen viele. Welche für die nächste Corona-Welle eine Rolle spielen könnten, erfahrt ihr in diesem Artikel. mit/mit dpa