EU-Recht schützt Pauschalreisende Bei unzumutbarer Gesundheitsgefährdung: gebührenfreier Rücktritt Hotel-Schließung berechtigt nicht automatisch zum Rücktritt In den Jahren der Corona-Pandemie haben Urlaubsreisende viele unangenehme Überraschungen bei ihren Pauschalreisen erlebt: gesperrte Strände, Pool-Verbot oder eingesperrt im Hotelzimmer. Das alles sind eigentlich Gründe für eine Preisminderung. Aber die Reiseveranstalter versperren sich, bislang erfolgreich. Jetzt hat sich durch ein Urteil des EuGH das Blatt gewendet. Übrigens: Wenn dir Corona den Urlaub ruiniert hat, kannst du zwei Jahre lang nach dem Reisetermin versuchen, den Preis zu mindern oder Geld zurückzuverlangen, wie Finanztip verrät.  Gesperrter Strand, eingeschlossen im Hotelzimmer: Minderung des Reisepreises? Reisende, deren Pauschalreise durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt war, können Anspruch auf eine Minderung des Reisepreises stellen, urteilt der EuGH (Urteil vom 12.1.2023, Az.: C-396/21). Denn die entsprechende europaweite Pauschalreiserichtlinie sieht eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vor. Zwei Reisende hatten bei einem deutschen Reiseveranstalter eine zweiwöchige Pauschalreise nach Gran Canaria 2020 gebucht. Sie verlangen eine Preisminderung von 70 Prozent, weil auf der Insel zur Bekämpfung der Verbreitung der Covid-19-Pandemie angeordnete Einschränkungen bestanden und deshalb die Tourist*innen vorzeitig abreisen mussten.  Durch die Corona-Maßnahmen waren Strände gesperrt und eine Ausgangssperre im Hotel verhängt, sodass die Reisenden ihre Hotelzimmer nur zum Essen verlassen durften. Der Zugang zum Pool und den Liegen war ebenfalls untersagt und das Animationsprogramm eingestellt. Nach fünf Urlaubstagen erhielten die beiden Reisenden die Nachricht, dass sie sich bereithalten sollten, die Insel jederzeit zu verlassen. Nach zwei weiteren Tagen mussten sie nach Deutschland zurückkehren. EU-Recht schützt Pauschalreisende Der Reiseveranstalter FTI Touristik verweigerte die geforderte Preisminderung mit der Begründung, er habe nicht für ein solches "allgemeines Lebensrisiko" einzustehen. Die beiden Reisenden verklagten FTI Touristik daraufhin vor dem Landgericht (LG) München I. Das LG ersuchte den EuGH, um Auslegung der Pauschalreiserichtlinie der EU. Diese sieht vor, dass Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für den Zeitraum haben, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag. Es sei denn, der Reiseveranstalter kann belegen, dass die Vertragswidrigkeit den Reisenden zuzurechnen ist. Beispielhaft sind in der Richtlinie Kriegshandlungen, sowie der Ausbruch einer schweren Krankheit am Reiseziel oder Naturkatastrophen genannt. Der EuGH entschied, dass Corona-Maßnahmen eine solche Vertragswidrigkeit darstellen. Die Ursache dafür und insbesondere ihre Zurechenbarkeit zum Reiseveranstalter sei unerheblich. Die Richtlinie begründe den Anspruch auf Preisminderung unabhängig von einer verschuldensunabhängigen Haftung des Reiseveranstalters. Von dieser sei er laut EuGH nur befreit, wenn die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der Reiseleistungen den Reisenden zuzurechnen ist, was hier nicht der Fall sei. Das LG München I muss nun klären, ob die Sperrung der Hotelpools, das Fehlen eines Animationsprogramms oder auch der gesperrte Zugang zu den Stränden von Gran Canaria und der Besichtigung der Insel eine Nichterbringung oder eine mangelhafte Erbringung der vertraglichen Leistungen durch den Reiseveranstalter darstellen. Das entscheidet über die Höhe der Preisminderung. Bei unzumutbarer Gesundheitsgefährdung: gebührenfreier Rücktritt Bereits im letzten Jahr hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit Stornokosten in Corona-Zeiten beschäftigt, die ja sehr hoch sein können, je näher der Reisetermin heranrückt (Urteil: BGH vom 30.8.2022, Az.: X ZR 66/21). Grundsätzlich können Pauschalurlauber*innen vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktreten. Dem Reiseveranstalter steht dann aber eine angemessene Entschädigung zu (die Stornokosten). Und das war der Fall: Eine über 80-jährige Frau buchte 2020 eine Flusskreuzfahrt auf der Donau für 1.600 Euro. Zwei Wochen vor Abfahrt trat sie wegen der Pandemie von der Reise zurück. Der Veranstalter hielt an der Kreuzfahrt mit einer verringerten Teilnehmerzahl fest und behielt von der Klägerin 1.000 Euro Stornokosten ein. Die Frau wollte diese nicht bezahlen und klagte gegen den Veranstalter. Sie bekam vor dem BGH ihr Recht. Zum Zeitpunkt der Buchung sei ihr Alter noch völlig egal gewesen, in der Pandemie aber plötzlich zum Risikofaktor geworden. Das Ansteckungsrisiko wegen der beengten Verhältnisse an Bord sei deutlich größer gewesen als zu Hause. Damals habe es noch keine Impfungen und Therapien gegeben.  Der BGH hat eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung der Klägerin bejaht, insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid-19. Die Flusskreuzfahrt hätte zu einer unzumutbaren Gesundheitsgefährdung für die ältere Frau geführt, weshalb ein kostenfreier Reiserücktritt möglich war. Hotel-Schließung berechtigt nicht automatisch zum Rücktritt Zwei weitere Reisefälle beschäftigten den BGH, die aber nicht so eindeutige ausgingen. Es ging um die Stornierung einer Mallorca-Reise wegen der coronabedingten Schließung eines gebuchten Hotels (Urteil: BGH vom 30.8.2022, Az.: X ZR 84/21). In diesem Fall sind Stornogebühren durchaus möglich, wenn im Reisezeitraum auf Mallorca eine andere Unterkunft zumutbar gewesen wäre. Die Pandemie stellte in dem Einzelfall laut den Richtern nicht automatisch eine "erhebliche Beeinträchtigung" dar. Deshalb verwies der BGH den Streit zur weiteren Prüfung an das Landgericht Düsseldorf zurück.  Präventiver Reiserücktritt vor EuGH geprüft: In einem weiteren Fall, einer Ostsee-Kreuzfahrt, kommt es laut BGH maßgeblich auf den Umstand an, dass der Kunde oder die Kundin den Rücktritt schon erklärt und der Veranstalter erst danach die Reise abgesagt hat. Ob in einer solchen Situation der Veranstalter die Stornogebühren zurückgeben muss, hänge von EU-Recht ab. Der BGH hatte schon im August 2022 einen vergleichbaren Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Den neuen Streit um die Ostsee-Kreuzfahrt setzte er aus, bis zu einer Antwort der Luxemburger Richter vorliegt (Urteil: BGH vom 30.8.2022, Az: X ZR 3/22). Fazit Das Reiserecht bei Pauschalreisen ist durchaus komplex. Zwar gilt die EU-Richtlinie und hilft in vielen Fällen unangemessene Forderungen der Veranstalter in die Schranken zu weisen. Aber auf die Corona-Pandemie war das Recht nicht vorbereitet. In drastischen Fällen können Pauschalreisende, mit dem Verweis auf das EuGH-Urteil versuchen, eine Minderung der Reisekosten bei ihrem Veranstalter durchzusetzen. Eine Garantie für den Erfolg gibt es nicht.