Bayernwerk-Chef: "Es gibt keinen schlechten Strom"

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Eon wird Bayernwerk; Netze für neue Energie; Foto: Barbara Herbst
Eon wird Bayernwerk; Netze für neue Energie; Foto: Barbara Herbst

Bayernwerk-Chef Reimund Gotzel hält die Energiewende nur für machbar, wenn die Politik in größeren Maßstäben denkt. Denn Strom fällt oft nicht da an, wo er am Ende auch gebraucht wird.

Er ist Chef von 2600 Mitarbeitern, macht einen Umsatz von drei Milliarden Euro im Jahr und versorgt im Freistaat Bayern rund fünf Millionen Menschen mit Strom. Seit Juli vergangenen Jahres ist Reimund Gotzel Vorstandsvorsitzender der Bayernwerk AG, einer 100-prozentigen Tochter des Eon-Konzerns. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt er auf, warum regenerative Energien das Netz vor Probleme stellen können und dass auf Netzbetreiber wie die Bayernwerk AG eine ganze Fülle neue Herausforderungen zukommen.

Herr Gotzel, die Bayernwerk AG ist heute zuallererst Netzanbieter. Welchen Herausforderungen müssen Sie sich da im Zusammenhang mit der Energiewende stellen?
Reimund Gotzel: Der investive Anspruch an einen Netzbetreiber ist heute ein ganz anderer.
Während früher Netze nur gepflegt werden mussten, ist heute ein regelrechter Netzumbau nötig.

Weil es früher nur einige wenige Großkraftwerke gab. Heute sind dagegen Millionen von Kleinkraftwerken am Netz, die zum Beispiel Wind und Sonne nutzen. Wie gehen Sie damit um?

Sie haben recht, das ist ein echter Paradigmenwechsel in Deutschland. In unserem Netz in Bayern haben wir mittlerweile fast 250 000 Einspeiser, überwiegend Photovoltaik, aber auch Wasserkraft, Windkraft und Biomasse. Über die Hälfte des in unserem Netz transportierten Stroms stammt aus regenerativen Energien. Das Dumme ist nur, dass diese Energie nicht konstant fließt, sondern Photovoltaik und Wind extrem unregelmäßig einspeisen. Die Jahreshöchstlast liegt in der Regel immer irgendwann im Frühjahr in den Abendstunden. Und da scheint leider kaum Sonne. Im Jahr 2012 war diese Höchstlast am 17. Februar um 17.45 Uhr erreicht. Da hatten wir ungefähr 6300 Megawatt abgefragte Leistung, aber nur 630 Megawatt regenerative Erzeugung im Netz, also gerade mal zehn Prozent. Das ist die Herausforderung für das Netz. Zum einen gibt es Situationen, wo mehr eingespeist wird als wir überhaupt brauchen. Und da, wo wir viel brauchen, da kommen an grundlastfähigen regenerativen Energieträgern höchstens Wasser und Biomasse infrage.

Und wie lösen Sie dieses Problem?
Letztlich ist es eine europäische oder zumindest nationale Frage, wie es Deutschland gelingt, die Energie aus den mehreren Millionen über das Land verteilten Anlagen zu gewissen Zeitpunkten aufzunehmen und an den Orten zur Verfügung zu stellen, wo in dem Moment Energie gebraucht, aber nicht produziert wird. Die eine Frage lautet: Wie kriege ich Leistung von A nach B transportiert. Die zweite Frage ist, wie schaffe ich es, das regionale Netz so aufzubauen, dass dieses in der Lage ist, diese Leistung überhaupt aufzunehmen. Es muss zudem überschüssige, dezentrale Erzeugung regeln oder in die übergelagerten Spannungsebenen einspeisen, damit die Leistung irgendwo anders zur Verfügung gestellt werden kann.

Schaffen wir das?
Wir als Bayernwerk müssen zwei Dinge tun. Die Anlagen müssen angeschlossen werden. Und die durch die Einspeisung entstehenden Spannungsveränderungen dürfen nicht zu groß werden, denn da reagieren manche Maschinen in der Industrie sensibel. Das heißt, unsere Aufgabe ist nicht, dass Energie überhaupt da ist, sondern auch, dass sie in der richtigen Qualität da ist.

Am 31.Dezember 2015 wird das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld abgeschaltet. Stromtrassen, die Energie aus dem Norden zuliefern könnten, sind nicht in Sicht. Gehen dann bei uns die Lichter aus?
Mit dieser Frage zielen Sie auf die aktuellen Diskussionen um den Bau von Höchstspannungs trassen ab. Dass man jetzt nochmal grundsätzlich über den Sinn neuer Stromtrassen diskutiert, ist für die Akzeptanz wohl unabdingbar. Akzeptanz der Menschen benötigen übrigens auch wir bei unseren Maßnahmen im Mittel- und Niederspannungsnetz, also den unteren Netzebenen.

Dank der Photovoltaik wissen Sie ja gelegentlich schon gar nicht mehr, wohin mit dem vielen Strom. Oft müssen Sie ihn dann nahezu verschenken, um ihn im Bedarfsfall wieder teuer einzukaufen. So macht die Energiewende aber doch keinen Sinn, oder?
Wir haben das Problem, dass Strom derzeit zu wirtschaftlichen Konditionen noch nicht gespeichert werden kann. Es ist richtig, dass wir immer wieder Strom über Umspannwerke auf eine höhere Ebene als der Nieder- und Mittelspannungsebene abführen müssen, um unsere Netze stabil zu halten. Das geht und das ist sinnvoll, wenn wir nicht allein in regionalen, oder nationalen, sondern in europäischen Maßstäben denken. Nur in der Vernetzung in Europa ist die Energiewende bei uns überhaupt machbar. Nur so können unsere Netze stabil gehalten werden. In einer Region allein kann es nicht klappen.

Das bedeutet doch aber auch, dass Strom aus erneuerbaren Energiequellen zum Beispiel Richtung Frankreich fließt und wir dafür im Bedarfsfall Atomstrom zurückbekommen?
Dazu grundsätzlich Eines: Es gibt keinen guten und keinen schlechten Strom. Unsere Aufgabe ist eindeutig: Wir haben zuallererst für Versorgungssicherheit zu sorgen. Der Strom muss in der benötigten Qualität, das heißt Spannung, angeboten werden, und er muss bezahlbar sein. Ich bin ein Anhänger des europäischen Verbunds, weil der uns eine Versorgungssicherheit insgesamt ermöglicht.

Wird die künftige Versorgung dann wirklich dezentral erfolgen?
Wir gehen davon aus, dass die dezentrale Versorgung weiter zunimmt. Es gibt einen gesetzlichen Rahmen, und der hat sich auch zu Zeiten der Großen Koalition nicht geändert. Die erneuerbaren Energien sollen ausgebaut werden. Aber selbst wenn die Einspeisung nicht daraus, sondern zum Beispiel aus mehr Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf konventioneller Basis kommen würde: Die Anforderungen an das Netz sind genau die gleichen. Und unsere Aufgabe auch. Es gibt zwar aufgrund der momentanen Unsicherheit einen gedämpften Zubau von Anlagen. Aber der grundsätzliche Pfad, auf dem die Bundesregierung unterwegs ist, wird sicher nicht geändert.

Das Interview führten
Klaus Angerstein und
Matthias Litzlfelder.



Reimund Gotzel und das Bayernwerk

Lebenslauf Der gebürtige Lübecker absolvierte ab 1985 zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann, ehe er 1988 in Berlin ein Studium der Betriebswirtschaft aufnahm. Nach dem Abschluss als Diplom-Kaufmann suchte er ein Betätigungsfeld in der Energiewirtschaft.

Karriere Von 1992 bis 1999 arbeitete er als Trainee bei PreußenElektra in Hannover. Von 1999 bis 2001 übernahm er die Projektleitung für die Fusion von Bayernwerk und PreußenElektra zur Eon Energie AG. Von 2001 bis 2006 war er Finanzvorstand bei der Eon Bayern AG. Es folgte 2006 die Übernahme der Geschäftsfeldsteuerung bei der Eon Energie AG in München. Von 2007 bis 2013 war Gotzel Vorstandsvorsitzender der Thüringer Energie AG in Erfurt, ehe er ab Juli 2013 zur Bayernwerk AG wechselte, dieses Mal als Vorstandsvorsitzender.

Gotzel privat Der 47-Jährige ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er trainiert mehrmals in der Woche für Marathonläufe und Triathlon.

Traditionsname Aufgrund gesetzlicher Vorgaben musste 2008 der Bereich Versorgung in die Eon Bayern Vertrieb GmbH ausgegliedert werden. Die Eon Bayern AG blieb der regionale Netzbetreiber. Jedoch verlangte der Gesetzgeber, sich auch im Namen deutlich von den Vertriebskollegen abzutrennen. Seit 1. Juli 2013 firmiert das Unternehmen daher unter Bayernwerk. So hieß bereits ein 1921 gegründeter Energieversorger, der später im Eon-Konzern aufgegangen war.