Keck reckt Maria M.* ihr rechtes Bein unter der Bettdecke hervor und streckt es für eine 82-Jährige beachtlich gerade in die Höhe. Sie lacht, weil die Besucher sagen: Respekt!, und steckt mit ihrer Fröhlichkeit alle an. Dass sie kurz danach weinen muss, liegt an ihrem Hochzeitstag. 60 Jahre wären es am 26. Dezember. Maria M. weiß nicht, ob sie Weihnachten noch erlebt. Wie sie so in ihrem Ehebett im heimischen Schlafzimmer liegt, die Rüschen ihres rosa Nachthemds ihr Kinn streicheln, wie sie lacht und gestikuliert, wie es aus ihr heraussprudelt, das Leben von heute und die Erlebnisse von früher - man kann es nicht glauben, dass Maria M. so schwer krank ist. Doch sie hat seit zwei Jahren Darmkrebs, Metastasen im ganzen Körper, mehrere Operationen hinter sich. Gerade war sie wieder im Krankenhaus, nochmal will sie da nicht hin. Sie will jetzt Zuhause bleiben und auch Zuhause sterben. "Hoffentlich geht es noch ein bisschen", sagt Maria M. "Es kommen so viele Verwöhner." Die ganze Familie hilft mit Ihr Mann lacht. "Manchmal ist es fast schon zu viel Besuch", sagt der ebenfalls 82-Jährige und ist trotzdem froh über die Unterstützung. Weil alle im selben Ort wohnen, ist ständig jemand da. Die Schwiegertöchter kochen, eine Enkelin ist Krankenschwester und hilft der Oma beim Baden, eine andere wird Psychologin und tröstet den Opa, wenn er nicht mehr kann. Dann wäre da noch der erfolgreiche Sportlerenkel, dessen Plakate die Großeltern an den Wänden ihrer Wohnung aufgehängt haben, und der Arztenkel, der bei Problemen schnell aus der Nachbarschaft herbeitelefoniert wird. Als Maria M. und ihr Mann das erzählen, haken Dr. Jörg Cuno und Elke Kehl ein. Der Leitende Arzt des Hospiz- und Palliativzentrums Bamberg und die Schwester des spezialisierten ambulanten Palliativteams (SAPV) Bamberg unterstützen Familie M. bei der medizinischen Versorgung. Zweimal pro Woche kommt jemand von ihnen vorbei und schaut nach dem Rechten. Bis zuletzt zuhause sein Maria M. ist eine von 90 Patienten, die das SAPV-Team täglich betreut. Von Bamberg und drei Stützpunkten in den Kliniken in Burgebrach, Ebermannstadt und Ebern aus werden schwerstkranke Menschen in Ober-, Mittel- und Unterfranken versorgt. Die SAPV arbeitet eng mit Hausärzten und Sozialstationen zusammen und begleitet todkranke Menschen durch die schwerste Phase ihres Lebens - und zwar zuhause. Rund um die Uhr erreichbar Dort, in ihrer vertrauen Umgebung sollen die Patienten bis zuletzt bleiben können: Das ist die Intention der ambulanten Palliativversorgung. "Wenn Palliativmedizin rechtzeitig eingesetzt wird, steigt die Lebensqualität. Manchmal kann das Leben sogar verlängert werden. Das haben Untersuchungen gezeigt", sagt Cuno. Um jederzeit helfen zu können, medizinisch oder manchmal nur mit einem guten Wort, ist bei der SAPV immer jemand erreichbar. Deshalb sagt Cuno bei seinem Besuch zu Ehepaar M.: "Lassen Sie Ihren Enkel Enkel sein und rufen Sie bei Problemen uns an. Dafür sind wir da." Alles dreht sich um seine Frau Was Cuno mit seiner ruhigen Stimme noch zu seiner Patientin sagt, während er ihr fest in die Augen schaut und sanft ihre Hand drückt: "Geben Sie ihren Enkeln alles mit. Nutzen Sie die Zeit. Sprechen Sie miteinander. Vor allem mit Ihrem Mann. Sein Herz ist so voll." Maria M. nickt und schaut zu ihrem Mann hinüber. Er sitzt an einem kleinen Tisch, den er extra ins Schlafzimmer getragen hat. Das ist jetzt der Lebensmittelpunkt des alten Ehepaars. Dort verbringt Herr M. so viel Zeit wie möglich, dort isst er sogar. Er will immer in der Nähe seiner Frau sein. Er kümmert sich, er pflegt sie mit Hilfe der anderen, er versucht, alles richtig zu machen. Neulich, als sie geschrien hat vor Schmerzen: "Ruf die Palliativ an oder lass mich sterben", hat er nicht eher Ruhe gegeben, bis die Sonde wieder gelaufen ist. "Dann bin ich halt wieder ‘worn", sagt Frau M. und lächelt. Sie freut sich, dass "mein Mann um mich rumschwänzelt." Andererseits sorgt sie sich: "Du kriegst noch einen Buckel, wenn Du ständig an meinem Bett rumfummelst", rügt sie ihn liebevoll. Schön: ein Nachtstuhl zum Herumfahren Sie wissen halt, wie sie miteinander reden, wie sie miteinander umgehen können. Fast 60 Jahre verheiratet, da kennt man sich in- und auswendig. "Natürlich haben wir auch gestritten", sagt Maria M. "Aber wir sind nie im Streit eingeschlafen." Streiten, das käme in der jetzigen Situation sowieso nicht mehr in Frage. Lieber machen sie Pläne: Welche Hilfsmittel könnten die Pflege, den Alltag erleichtern? Gerade wurde ein Nachtstuhl gebracht, über den Herr M. sich besonders freut. "Jetzt kann ich meine Frau in der Wohnung herumfahren." Patienten geben den Fachleuten Kraft für die Arbeit Dann wird er ernst. Er sagt, sie haben über das Sterben gesprochen. "Aber wir lassen die Flügel nicht hängen, sondern machen das Beste draus." Das Beste. Die Diamantene Hochzeit gemeinsam zu erleben, das wäre das Allerbeste. Maria M. weint, als sie an den 26. Dezember 1953 zurückdenkt. "Wir waren so arm", sagt sie. Dann wischt sie die Tränen weg: Später haben sie sich ein gutes Leben aufgebaut. Seit 40 Jahren wohnen sie im eigenen Haus. Cuno hört zu, fragt nach. "Es gibt uns Kraft für unsere Arbeit", sagt er, "dass die Patienten nicht traurig sind, dass sie sterben müssen. Sie sind dankbar für ihre Erinnerungen."Maria M. nickt. "Ich habe erst neulich zu meiner Familie gesagt, seid nicht traurig, wenn mir was passiert. Wir haben ein gutes Leben gehabt."*Der Name wurde von der Redaktion geändert. So werden schwerstkranke und sterbende Menschen versorgt SAPV Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) richtet sich an schwerstkranke und sterbende Menschen. Sie soll ihnen bis zum Tod ein menschenwürdiges Leben in der vertrauten, häuslichen Umgebung ermöglichen und Klinikaufenthalte vermeiden. Gesetz Im Zuge der Gesundheitsreform hat die Bundesregierung zum 1. April 2007 den Weg zur SAPV schwerst kranker Menschen freigemacht. Damals wurde die multiprofessionelle Palliativversorgung durch ein spezialisiertes Team mit zwei eigenständigen Paragraphen (37b und 132d) neu in das Sozialgesetzbuch (SGB) V eingeführt. Damit steht formal allen Bürgern eine fachkompetente Betreuung im heimischen Umfeld zur Verfügung. Verordnung Die SAPV wird von Haus-, Fach- oder Klinikärzten verordnet und von den Krankenkassen bezahlt. SAPV-Teams sind in Bamberg, Nürnberg, Fürth, Erlangen und Würzburg im Einsatz. In den SAPV-Teams dürfen nur Ärzte mit Zusatzausbildung Palliativmedizin und Pflegekräfte mit Weiterbildung in Palliativcare Pflege arbeiten. Die Teams kooperieren mit Hausärzten, Pflegediensten und Hospizvereinen und sind 24 Stunden erreichbar. Das Bamberger Team besteht aus vier Ärzten, einer Hausärztin und zwölf Fachpflegekräften für Palliativpflege. Die Bamberger SAPV hat drei "Stützpunkte" in den Kliniken in Ebern, Ebermannstadt und Burgebrach.Palliativstationen gibt es in Bamberg, Bayreuth, Würzburg, Kulmbach, Coburg, Schweinfurt, Bad Neustadt/Saale, Nürnberg und Erlangen.Hospizvereine in Bamberg, Coburg, Kulmbach, Erlangen, Forchheim, Herzogenaurach, Fürth, Kronach, Bad Kissingen, Bad Neustadt/Saale, Nürnberg, Bayreuth, Hof, Würzburg und Lichtenfels haben Ehrenamtliche ausgebildet, die schwerst kranke Patienten und deren Angehörige unterstützen. Infos über die stationären und ambulanten Möglichkeiten der Palliativmedizin sowie Adressen gibt es u.a. auf dem Palliativportal, das Dr. Jörg Cuno initiiert hat. Dort kann man auch eine App mit Infos und Adressen über Palliativmedizin herunterladen.