Der Staat sitzt in München mit auf der Anklagebank

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Mit dieser Waffe wurden alle Opfer der NSU-Mordserie erschossen. Foto: Franziska Kraufmann, dpa
Mit dieser Waffe wurden alle Opfer der NSU-Mordserie erschossen. Foto: Franziska Kraufmann, dpa
 
Beate Zschäpe. Foto: Bundeskriminalamt/dpa
Beate Zschäpe. Foto: Bundeskriminalamt/dpa
 

Der Rechtsstaat steht vor einer Bewährungsprobe: Bei der Verhandlung gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe geht es nicht nur um Schuld oder Unschuld. Sondern auch um ein kollektives Versagen.

Das Wort "historisch" hat sich in letzter Zeit sehr abgenutzt. Vom historischen Sieg in der Bundesliga bis zur historischen Abstimmung im Bundestag muss der Superlativ herhalten. Historisch nennen sollte man aber nur, was eines Tages in den Geschichtsbüchern steht. In diese Kategorie gehört ohne Zweifel der Prozess gegen Beate Zschäpe, der am Montag beginnen soll.

Dabei geht es nicht nur um die Schuld oder Unschuld der einzigen Überlebenden der Zwickauer Terrorzelle. Oder nur um Sühne nach der beispiellosen Mordserie des NSU. In den Fokus - und zwar nicht nur des Auslandes - rückt das Versagen des Staates beim Kampf gegen den rechten Terror.

Mehr als 13 Jahre lang zogen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mordend durch Deutschland. Zehn Tote gehen auf das Konto des Trios, eine deutsche Polizistin, ein griechischer und acht türkische Staatsbürger starben zwischen 2000 und 2006, regelrecht hingerichtet mit Schüssen aus der stets gleichen Pistole.
Die nach dem Selbstmord der beiden Männer einzige Überlebende des Trios, Beate Zschäpe, und einige Helfer des NSU müssen sich vor dem Oberlandesgericht in München verantworten. Die Anklage gegen Zschäpe lautet: Mord. Es ist in reiner Indizienprozess, denn es gibt weder ein Geständnis noch Augenzeugenberichte zu einer direkten Beteiligung der mutmaßlichen Terroristin aus dem rechten Lager. Die Beschuldigte hat bislang geschwiegen.

Beispiellos - historisch - ist der NSU-Prozess schon vor der Verlesung der 500 Seiten starken Anklageschrift. Denn die Verbrechen des NSU haben auch eine politische Dimension: Untersuchungsausschüsse des Bundestags und diverser Länderparlamente, unter anderem in München, beschäftigen sich mit den Taten der Neonazis und der Untätigkeit und Unfähigkeit der Behörden, den Mördern auf die Schliche zu kommen.

Dabei waren sie ganz nahe dran, schon vor Beginn der Mordserie, als das Trio noch nicht abgetaucht war. Da hatten die unterschiedlichen bundesdeutschen Geheimdienste 24 V-Leute - Spitzel - im Nationalsozialistischen Untergrund und seinem Umfeld eingesetzt. Darunter war auch Kai D. aus Oberfranken, der für den bayerischen Verfassungsschutz "nach dem/ den Rechten sah" und in dieser Szene offenbar viel mehr getan hat als nur zu beobachten.

Aufbauhelfer aus Franken

D. hat als Computerfachmann maßgeblich am Aufbau der rechten Info-Kanäle mitgewirkt und war über den "Fränkischen Heimatschutz" in Coburg wohl auch einer der Geburtshelfer des "Thüringer Heimatschutzes", in dessen Umfeld sich die NSU-Terroristen radikalisierten.

Heute ist D. abgetaucht, der Verfassungsschutz spielt seine Rolle herunter. Auffallend ist, dass D. wie viele andere Spitzel im rechten Lager von den Nachrichtendiensten "abgeschaltet" wurde, als Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in den Untergrund gingen. Es ist mindestens ärgerlich, dass die Informationsquellen just zu dem Zeitpunkt versiegten, als sie besonders wichtig gewesen wären. Was die Nachrichtendienste und ihre Spitzel bereits wussten, wie nahe sie dran waren am NSU, wird wohl nie vollständig publik werden, da können die Untersuchungsausschüsse noch lange tagen.

Geschwärzte Passagen in den Berichten und Berge von geschredderten Akten haben das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert. Auch das macht den Zschäpe-Prozess so brisant und historisch: Der Staat sitzt ab Montag in München mit auf der Anklagebank.

Auch nach den ersten tödlichen Schüssen waren die Behörden nahe dran an den Mördern. Die wichtigste Spur war die Tatwaffe, eine Ceska Zbrojovka 83, Waffennummer 034678, Kaliber 7,65 mm. Bei der Pistole handelt es sich um ein Massenprodukt aus tschechischer Fertigung, in großer Stückzahl bei Streitkräften und der Polizei eingesetzt. Speziell die Waffe aber, mit der der NSU seine Opfer regelrecht hinrichtete, war eine Rarität, wie unsere Zeitung aus Ermittlerkreisen erfahren hat.

Die Waffe war eine Rarität

Die Pistole der NSU-Killer aber hatte einen Schalldämpfer und wurde in dieser speziellen Version nur in Kleinstserien gefertigt. Die meisten dieser Waffen wurden in den ehemaligen Ostblockländern als Geschenke an Staatsgäste verteilt, ihr Verbleib ist sehr gut dokumentiert.

Für die Sonderkommission "Bosporus" der Polizei, die nach den ersten Morden in Nürnberg eingesetzt wurde, war die Waffe die heiße Spur. "Das war wie ein Bekennerschreiben, die Täter wollten wiedererkannt werden", sagen Kenner der "Bosporus"-Ermittlungsakten.

Am Ende blieben noch acht mögliche Waffen übrig, die über die Schweiz nach Deutschland geschleust worden sein mussten. Weil die Polizei aber in der Schweiz nach Waffenkäufern aus dem Milieu der türkischen Mafia suchte und einen rassistischen Hintergrund allenfalls am Rande verfolgte, wurde die heiße Spur schon bald kalt. Eine "historische" Chance war vertan.