Ein Anschlag auf die Seele der Nation

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Bei einem Bombenanschlag im Zielbereich des Bostoner Stadtmarathons sind am Montagabend mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Foto: dpa
Bei einem Bombenanschlag im Zielbereich des Bostoner Stadtmarathons sind am Montagabend mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Foto: dpa

Nach dem Bombenanschlag auf den Boston-Marathon gelten die Gedanken zunächst den Opfern und ihren Hinterbliebenen. In die guten Wünsche für die Verletzten mischt sich Wut und Entsetzen über das feige Verbrechen, das so viele Menschen genau da getroffen hat, wo sie einfach Mensch sein wollten: beim Sport, ob als Zuschauer oder als Aktiver. Pure Lebensfreude, von Bomben zerfetzt.

Gleichgültig, wer hinter dem Anschlag steckt: Die Bomben von Boston treffen die USA und die ganze Welt gleich mehrfach. Wieder einmal hat der Sport seine Unschuld verloren. Seit der Antike ist der Sport ein Sinnbild dafür, wie Menschen sich im fairen und friedlichen Wettstreit begegnen können.

Diese Qualität haben die Nazis missbraucht, als sie 1936 die Olympischen Spiele in Berlin für ihre Propaganda nutzten; diesen Frieden zerstörten die palästinensischen Attentäter 1972 bei der Olympiade in München, und auch der Olympia-Boykott 1980 (Moskau) und 1984 (Los Angeles) wegen der sowjetischen Invasion in Afghanistan instrumentalisierte den Sport zu einer - untauglichen - Waffe im politischen Machtkampf.

Jetzt Boston. Die Attentäter hätten ebenso gut ein belebtes Einkaufszentrum oder einen Bahnhof angreifen können.
Die Bomben auf eine sportliche Großveranstaltung haben bei ihrer perversen Brutalität aber nicht nur das Ziel, Menschen zu töten, Angst und Schrecken zu verbreiten.

Bei den Terroranschlägen am 11. September wurde das Herz der USA getroffen, das große und großartige Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde plötzlich klein, ängstlich, verwundbar. Von dem Schock haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika elfeinhalb Jahre später noch nicht erholt. Die Bomben von Boston trafen die Seele der Nation, die Verwundbarkeit wurde schlagartig wieder ins Bewusstsein gerückt und die Aussichtslosigkeit schmerzhaft deutlich, den Kampf gegen den Terror jemals gewinnen zu können.

Wer die Begeisterung der Amerikaner für den Sport schon einmal selbst erleben durfte, spürt, wie tief der Schock von Boston geht. Bei großen Marathonveranstaltungen wie in New York, San Francisco oder Las Vegas tragen die Zuschauer die Sportler förmlich über die Ziellinie, sie feiern nicht nur die Sieger, sondern fiebern auch noch mit dem letzten Läufer, der es über die Ziellinie schafft. "You make it" - "Du schaffst das". Der sportliche Erfolg war schon immer Teil des amerikanischen Traums, ein Teil der Sehnsucht, dass es jeder aus eigener Kraft ganz nach oben schaffen kann wie der Basketballstar Dirk Nowitzki aus Würzburg.

Ist der Traum jetzt ausgeträumt? Nein. Erst recht nicht. Der Sport hat in Boston zwar wieder einmal seine Unschuld verloren. Doch zum Sport gehören auch die Tränen. Seine universelle Friedensbotschaft kann und darf keine Bombe dieser Welt zerstören.