Erlanger Ärzte über Korruption durch Pharmakonzerne

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Allgemeinmediziner Stefan Günther vom Homöopathiezentrum ErlangenFoto: Barbara Herbst
Allgemeinmediziner Stefan Günther vom Homöopathiezentrum ErlangenFoto: Barbara Herbst
Bei Teofil Todoric und Stefan Günther ist der Medikamentenschrank gut gefüllt - allerdings nicht mit Gratisproben, denn Pharmavertreter mit Musterköfferchen haben hier keinen Zutritt. Foto: Barbara Herbst
Bei Teofil Todoric und Stefan Günther ist der Medikamentenschrank gut gefüllt - allerdings nicht mit Gratisproben, denn Pharmavertreter mit Musterköfferchen haben hier keinen Zutritt. Foto: Barbara Herbst
 

Pharmavertreter pflegen gute Kontakte zur Ärzteschaft - und lassen sich das eine Menge kosten: Etwa 30.000 Euro sollen Arzneikonzerne jährlich pro niedergelassenem Arzt investieren. Die Grenze zu nachweisbarer Bestechung wird selten überschritten. Das System funktioniert subtiler. Wie genau, erklären die Mediziner einer Erlanger Praxis.

Stefan Günther hat die Restaurantbesuche mit den Pharmavertretern in guter Erinnerung. "In meiner Krankenhauszeit, also als ich noch Assistenzarzt war, da war es ganz üblich, dass die Station regelmäßig zu einem erstklassigen Essen eingeladen wurde." Schwestern, Ärzte und Oberarzt speisten mit dem Pharmavertreter, das Gesellige stand im Vordergrund, nur ganz beiläufig wurde ein neues Medikament vorgestellt. "Damals hab' ich das völlig unkritisch gesehen - ich fand's einfach nett", sagt der Allgemeinmediziner.

Das "soziale Ereignis" eines gemeinsamen Essens findet er immer noch wichtig. Allerdings lässt er sich dazu nicht mehr einladen. Genau wie die drei anderen Ärzte des Homöopathiezentrums Erlangen ist Günther Mitglied der "Initiative unbestechlicher Ärzte Mezis". Die Abkürzung steht für "Mein Essen zahl' ich selbst."

Die Praxisgemeinschaft in der Erlanger Innenstadt ist spezialisiert auf
Naturheilkunde. Sie hat ein Labor, mehrere Behandlungsräume, Anmeldung, Wartezimmer. Hohe Räume, Stuckdecken - irgendwas ist hier anders, nur was? Ein Poster wirbt für ein Chorkonzert. Es ist das einzige. Die typischen Plakate der Pharmafirmen fehlen. "Wir wollen keine Schleichwerbung, keine Kugelschreiber, keine Notizzettel, keine Mousepads und auch keine Gratismedikamente zum Mitgeben."

Bestechung beginnt bei einem Kugelschreiber

Über die Bestechlichkeit von Medizinern wird heftig diskutiert, weil die Firma Ratiopharm Ärzten Geld bezahlt haben soll, damit sie ihre Medikamente verschreiben. Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery kritisiert, dass ein Arzt im schon Verdacht der Bestechlichkeit stehe, wenn er nur einen Kuli annimmt. Übertrieben? "Wir sind nicht der Meinung", sagt Doktor Günther. "Wir finden, dass gar nichts angenommen werden sollte. Auch Kugelschreiber und Kalender an der Wand beeinflussen unbewusst."

Günthers Kollege Teofil Todoric, ebenfalls Allgemeinmediziner, erzählt, wie bei ihm im Lauf der Zeit das Bewusstsein für unterschwellige Beeinflussung wuchs. "Als Assistenzarzt im Krankenhaus habe ich mich auch gefreut, immer einen guten Kugelschreiber zu haben, ein EKG-Lineal zu bekommen, ein Buch über Arzneimittel." Alle zwei, drei Wochen kam ein Pharmavertreter zu Besuch. "Die lassen dann Geschenke da." Kleinigkeiten. "Aber Dinge besserer Qualität, die man sonst nicht so hat. Dinge, die man gern benutzt. Ein guter Montblanc-Kugelschreiber zum Beispiel." Todoric nickt: "Da steht dann zum Beispiel ,Ratiopharm' drauf. Man sieht es ständig - und wenn man ein Medikament verschreibt, fließt das unbewusst mit ein."

Vier-Sterne-Fortbildung am See

Etwa 15.000 Pharmareferenten werben in Deutschlands Praxen für ihre Produkte. "Pro niedergelassenem Arzt investieren die Pharmafirmen etwa 30.000 Euro im Jahr. Das wollen die Konzerne wieder reinbekommen - also funktioniert es offensichtlich", sagt Günther. "Die fragen bei umliegenden Apotheken nach, wieviel von einem Medikament eine Praxis verschrieben hat." Daraus werden Statistiken, die zeigen, wie sich die Investition auszahlen.

Die Pharmafirmen pflegen ihre guten Kontakte zu den Medizinern aber nicht nur mit Essenseinladungen und teuren Kulis. Günther erinnert sich an eine Fortbildung über Bluthochdruck, an der er als Assistenzarzt teilnahm. "So etwas ist dann am Genfer See in einem 4-Sterne-Hotel, das ich mir privat nicht geleistet hätte." Bei solchen Fortbildungen ist es üblich, dass der Pharmakonzern die Kosten übernimmt - auch mal für den mitgereisten Partner und für Verlängerungsnächte.

Ein Kreuzchen: 100 Euro

Dass Ärzte den Medikamentenherstellern zu wissenschaftlichen Zwecken Daten liefern, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich - und für die Mediziner ein netter Nebenverdienst. Günther berichtet von einer so genannten "Anwendungsbeobachtung", an der er einmal teilnehmen sollte. Bei jedem Patienten, der das Medikament bekommt, sollte der Mediziner auf einem Bogen ankreuzen, ob es dem Kranken gut, gleich oder schlechter geht. "Pro Bogen hätte ich 100 Euro bekommen." Das habe er sofort zurückgewiesen, denn mit Forschung habe das nichts zu tun. "Das ist reine Korruption." Todoric zuckt die Schultern. "Es ist eben ein Riesengeschäft."

Beste Gewinne mit neuen Pillen

Im Erlanger Homöopathiezentrum werden Pharmavertreter nicht empfangen, aber selbst die Mezis-Ärzte können sich nicht völlig von ihrem Einfluss befreien. Denn die unterschwelligen Botschaften stecken sogar in der Praxissoftware. "Über den Softwarehersteller fließt Werbung ein", sagt Todoric. "Uns stört das, aber wir können es nicht verhindern. Wir brauchen die Programme." Die Pharmakonzerne tun viel dafür, dass ihre Geschäfte laufen. Es geht darum, dass teure Produkte verschrieben werden. Und neue Produkte. "Da sind die Gewinnmargen am größten, weil es keine Generika gibt", sagt Günther. "Deutschland hat auch deshalb weltweit die höchsten Medikamentenkosten."

Über neue Medikamente informieren sich auch die Mezis-Ärzte - aber "bei pharmaunabhängigen Institutionen": Das "Arzneimitteltelegramm" beispielsweise ist eine werbefreie Publikation, die neu eingeführte Arzneien sehr kritisch beleuchtet. Das Erlanger Team bevorzugt in der Regel "eingeführte und wohlerprobte" Medikamente. Günther spricht von Neueinführungen, bei denen nach einigen Jahren Nebenwirkungen bekannt wurden. "Ein Cholesterin-Senker wurde zum Beispiel nach ein paar Jahren wegen Todesfällen vom Markt genommen."


Zahlen und Fakten

350 zahlende Mitglieder hat "Mezis", die Initiative unbestechlicher Ärzte mit dem Leitspruch "Mein Essen zahl' ich selbst" bisher in Deutschland. In der Bundesärztekammer sind etwa 440.000 Ärzte organisiert.


61 Prozent der Mediziner glauben nach Informationen von Mezis von sich selbst, dass sie "überhaupt nicht" durch Pharma-Geschenke in Ihrem Verordnungsverhalten beeinflusst werden. Allerdings halten sie nur 16 Prozent ihrer Kollegen für überhaupt nicht beeinflussbar.