Erlanger Ethiker berät Energiepolitiker in Brüssel

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Peter Dabrock Foto: Natalie Schalk
Peter Dabrock Foto: Natalie Schalk

Sicher soll die Energieversorgung sein. Und möglichst billig. Aber sie soll auch gut sein - gerecht, nachhaltig und moralisch richtig. So sieht das zumindest der Erlanger Theologe Peter Dabrock. Er berät die EU-Kommission in ethischen Fragen.

Korrosion ist eines der Probleme, die bei Windrädern im Meer noch gelöst werden müssen. Dann bleibt immer noch die Frage, wie der Strom norddeutscher Windanlagen in die Industrieregionen Süddeutschlands kommt - oder ein wenig weiter gedacht: wie Sonnenstrom aus der Sahara nach Europa transportiert werden soll. Interkontinentale Leitungen? Chemisch gebunden? Mit neuen Speichertechnologien? Und was hat das eigentlich mit Moral und Ethik zu tun?

"Alles", sagt Peter Dabrock. Denn technische Fragen sind lösbar. Dass jede Kilowattstunde, die in einem Kohlekraftwerk erzeugt wird, den Klimawandel beschleunigt und jedes bisschen Strom aus einem Atomkraftwerk Müll produziert, der irgendwo hin muss - das sind Probleme, die wir der nächsten Generation vererben. Dabrock, der Erlanger Theologe und Ethikprofessor, rutscht an die Vorderkante des grünen Sessels in der Besprechungsecke seines Büros. Er streckt die Arme aus, erklärt mit vollem Körpereinsatz, warum Nachhaltigkeit bei der Energieversorgung für ihn oberste Priorität hat: "Es geht um Gemeinwohl und Eigennutz! Um die Frage, in welcher Welt, mit welchen natürlichen Ressourcen, unsere Kinder und Kindeskinder leben werden."

Ingenieure sind keine Experten für das Gute


Verantwortung ist ein Maßstab christlichen Handelns, was der evangelische Theologe mit einem Zitat aus einem Petrusbrief belegt. Am besten wäre eine Energieversorgung, die sauber und ungefährlich ist, bei der kein chinesischer Arbeiter sich im Bergwerk zu Tode schuftet, und kein deutscher Hartz-IV-Empfänger fürchtet, dass er seine Stromrechnung nicht mehr zahlen kann. Gleichzeitig muss die Versorgungssicherheit gewährleistet sein - und das möglichst ohne von Putins Gasreserven abhängig zu sein. Alles gleichzeitig geht nicht. Die Politik muss Prioritäten setzen. Und dabei helfen Ethiker wie Dabrock.

Als Mitglied der EGE, der "Europäischen Gruppe für Ethikfragen im Bereich der Wissenschaften und Neuen Technologien" berät er die EU-Kommission. "Im Februar bekamen wir vom Europäischen Rat den Auftrag, eine Stellungnahme zur Ethik der Energieversorgung zu schreiben." Seitdem trifft sich das 15-köpfige Gremium aus Theologen, Philosophen, Medizinern und Juristen jeden Monat und diskutiert über die verschiedenen Ziele der Energiepolitik.

Ingenieure sind nicht in der EGE vertreten. "Ethik im Bereich von Hochtechnologien ist immer ein interdisziplinäres Projekt. Wir laden Experten ein - auch Physiker, Vertreter der Wirtschaft und von zivilgesellschaftlichen Organisationen." Die technischen Fragen müssen mit einbezogen werden - aber sie sind nicht das alles Entscheidende. "Ein Ingenieur ist kein Experte für die ethischen Kriterien, die es bedarf, um zu reflektieren, was für eine Gesellschaft verantwortbar ist", sagt Dabrock. Wobei auch die Ethiker nicht vorgeben, was richtig ist und was falsch: "Wir decken Handlungs- und Entscheidungskriterien auf."

Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in Euch ist.

Petrusbrief 3,15


Dabei werde oft mit Wenn-Dann-Szenarien gearbeitet. "Wenn die Energiepolitik ihren Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und die Einhaltung der Klimaziele setzt, muss man so ehrlich sein, einzugestehen, dass Energie teurer wird. Das bedeutet nicht, dass wir die Sensibilität für diejenigen, die in unserer Gesellschaft am Rande leben, verlieren - aber das muss von allen mitbezahlt werden. Das muss es uns als Gesellschaft dann wert sein." Wenn der Schwerpunkt stattdessen auf "billiger Energie für alle" liegen soll, müsse die Gesellschaft sich im Klaren darüber sein, dass dies nur mit Technologien funktioniert, die klimaschädlich oder besonders risikoreich sind.
Dabrocks persönliche Prioritäten sind klar.

"In der proportional reichen Gesellschaft, in der wir leben, ist die Perspektive, die auf Nachhaltigkeit setzt, am produktivsten. Auch weil wir wahrscheinlich im globalen Wettbewerb das erste Hochtechnologieland sein werden, das den Energiemix so nachhaltig hinbekommt." Die Arbeit an den technischen Fragen ist es, die Deutschland aus Dabrocks Sicht "in 20, 30 Jahren deutliche Wettbewerbsvorteile" sichern werden.

Der Atomausstieg ist für Dabrock kein Selbstzweck. "Er hat seinen Sinn als Senkung einer risikoreichen Technologie. Aber es geht auch darum, zu schauen, wo man sich Probleme einhandelt. Wir Ethiker bringen auf den Tisch, wo der extrem hastige Atomausstieg mit anderen wertvollen Zielen kollidiert. Zum Beispiel mit den Klimazielen." Als Vertreter Deutschlands im Ethikgremium der Europäischen Kommission hat er es dabei nicht immer leicht. "Man merkt deutlich die Unterschiede in den Mentalitäten. Während es Deutschland wirtschaftlich sehr gut ging, haben andere die Wirtschaftskrise durchlitten. Und dann kommen wir daher mit diesem hochambitionierten Projekt des Atomausstiegs, und die anderen fragen: Wie sollen wir das hinkriegen?" Vertreter der Atomnation Frankreich, der Iren, Portugiesen, Polens, Italiens und Spaniens seien irritiert vom deutschen Weg.

"Wir haben die EU-Vorgabe, die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber Ende der 90er Jahre zu senken. Die Polen zum Beispiel haben bis vor Kurzem nahezu ihre gesamte Energie aus ihren Kohlevorkommen gewonnen und sind froh, dass sie auf Atomkraft gesetzt haben. Das jetzt auch mal schnell bleiben zu lassen, ist ökonomisch gar nicht zu schaffen. Das Gleiche sagen zum Beispiel auch die Iren." Energie sieht der Ethiker als Thema, das nicht aus einer nationalen Perspektive betrachtet werden kann.

Im Januar wird die EGE ihre Stellungnahme abgeben. Das Papier wird die Grundlage einer Konferenz im Februar, bei der es um die europäische Energieversorgung der Zukunft geht.

Zur Person


Peter Dabrock ist Ethikprofessor in Erlangen, Mitglied der Europäischen Gruppe für Ethikfragen und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Ethik im Bereich von Hochtechnologien ist einer seiner Schwerpunkte. Am Mittwoch, 14. November, spricht er um 20 Uhr beim Evangelischen Bildungswerk im Haus Contakt in Coburg über würdevolles Sterben.

Mit diesem Beitrag endet unsere Serie zur Energiewende. Alle Folgen können weiterhin im Dossier auf infranken.de nachgelesen werden.