Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler und Mitinitiator des Volksbegehrens zur Zukunft des Gymnasiums in Bayern, ist wieder auf Wahlkampftour. Wirbt überall im Freistaat für sein Volksbegehren, für die Wahlfreiheit zwischen einem acht- und einem neunjährigen Gymnasium. Warum? "Weil das G 8, der achtjährige Weg zum Abitur, die Qualität des Gymnasiums beschädigt hat", erklärt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Und das in vielerlei Hinsicht. Das über Nacht eingeführte Turbo-Abitur habe dazu geführt, dass viele Abiturienten nicht mehr "studienreif" seien. Die Statements der Hochschulen in dieser Frage seien eindeutig. Seit Einführung des verkürzten Wegs zum Abitur sei zudem die Zahl der Studienanfänger im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich zurückgegangen. Gerade in diesen Fächern fehle den Schülern einfach die Zeit, um sich mit den Problemstellungen vertieft auseinandersetzen zu können.Aiwangers schlichtes und einfaches Credo: Mehr Zeit für die Schüler. Das sei auch die beste Voraussetzung für eine Verbesserung der Qualität am Gymnasium. Lernen sei ein Reifeprozess, der nicht beliebig beschleunigt werden könne, wirbt der Chef der Freien Wähler für das Volksbegehren seiner Partei. "Wir brauchen eine echte Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9", fordert er deshalb. Flexi-Jahr eine Fehlentscheidung Das von der CSU ins Feld geführte Flexi-Jahr sei eine Fehlentscheidung gewesen. Weil damit auftauchende Probleme zu spät erkannt und angegangen würden. Außerdem stelle das Flexi-Jahr und die damit gefunden Lösung eine Art Minderheitenlösung dar, die im bisherigen System kaum auf Akzeptanz stoße. "Die Schüler werden damit aus dem Klassenverband gerissen. Kein Wunder, dass bayernweit derzeit gerade mal 500 Schüler von dem Flexi-Jahr Gebrauch machen", erläutert Aiwanger seine ablehnende Haltung. Der Gegenvorschlag der Freien Wähler: Die volle Wahlfreiheit zwischen G8 und G9. Zwei unterschiedlich lange Wege zum Abitur, die parallel nebeneinander angeboten werden können. Ländlicher Raum nicht benachteiligt Kritik der CSU, dass damit die Schüler im ländlichen Raum benachteiligt würden, lässt Aiwanger nicht gelten. Das sei alles nur Propaganda, lässt er wissen. Es stimme einfach nicht, weil die meisten Gymnasien mehrzügig seien, auch auf dem flachen Land. Als Beispiel nennt er das Gymnasium Ebermannstadt in der Fränkischen Schweiz. Selbst hier würden in der Eingangsstufe vier Klassen je Jahrgang gebildet. Das sei genug, um parallel einen G8- oder G9-Betrieb anbieten zu können.Die Entscheidung darüber, in welcher Zeit das Abitur anzupeilen ist, soll nach Vorstellung der Freien Wähler von den Schulen selbst getroffen werden. Mit dem Volksbegehren verfolge man das Ziel eines deutlichen Stressabbaus für die Schüler. Der Nachmittag soll demnach von Unterricht frei gehalten werden können. Die Schüler sollen auch wieder Zeit haben für ihre Hobbys, für ein soziales Engagement, für die Mitarbeit in Vereinen."Das gehört alles zum Reifeprozess junger Menschen dazu. Und genau das ist in den letzten Jahren in Bayern zu kurz gekommen, so Aiwanger. Einen Qualitätsverlust wolle man deshalb jedoch nicht, heißt es. Im Gegenteil: Dadurch, dass mehr Zeit zum Lernen zur Verfügung stehe, soll die Qualität des Abiturs wieder steigen. Wie das alles im Detail umzusetzen sei, müsse man nach dem Volksbegehren in Ruhe erarbeiten. Es gelte hier auch Vorschläge des zuständigen Ministeriums und der Verbände abzuwarten.Eines wollte Hubert Aiwanger abschließend noch einmal deutlich machen: "Wer G9 will, muss das Volksbegehren unterstützen." Info: BLLV: Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) ruft zur Teilnahme am Volksbegehren zur Zukunft des Gymnasiums auf. BLLV-Präsident Klaus Wenzel sagte, es sollten sich möglichst viele Bürger zwischen dem 3. und 16. Juli in den in den Rathäusern ausliegenden Listen eintragen. Je größer die Beteiligung sei, desto größer sei auch die Wahrscheinlichkeit, "dass sich die Staatsregierung mit den dringend nötigen pädagogischen und didaktischen Reformen auseinandersetzt", sagte Wenzel. Die meisten Menschen in Bayern seien sich einig, dass die derzeitige Form des G8 als Zumutung empfunden wird.Philologenverband: Unmittelbar vor Beginn der Eintragungsfrist für das Gymnasiums-Volksbegehren hat der Philologenverband (bpv) eine Umfrage präsentiert, wonach eine klare Mehrheit der Bayern für eine umfassende Reform ist. 38 Prozent sprachen sich in der repräsentativen Erhebung für eine grundsätzliche Rückkehr zum G9 aus, weitere 18 Prozent für eine Wahlfreiheit zwischen G8 und G9. Ersteres will der Philologenverband, letzteres wollen die Freien Wähler. Lediglich 11 Prozent plädierten in der vom bpv in Auftrag gegebenen Umfrage für Nachbesserungen am G8. "Das G8 lässt sich nicht schönreden", so bpv-Chef Max Schmidt. Kultusministerium: Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) erklärt, die Staatsregierung wolle "mit der Weiterentwicklung des Gymnasiums" der immer heterogeneren Schülerschaft gerecht werden. Eine einheitliche Schulzeit von acht oder neun Jahren für alle Schüler habe sich nach den Erfahrungen der Schulen "als überholt erwiesen". Der Freistaat wolle junge Menschen "in ihrer Vielfalt möglichst optimal fördern", ein G9 oder G8 für alle "ist überholt", betonte der Minister. Die von den Freien Wählern angestrebte Wahlfreiheit von G8 oder G9 für jedes Gymnasium benachteilige die Schüler im ländlichen Raum. Acht oder neun Jahre zum Abitur? Die Diskussion der Bildungspolitiker will nicht enden. Hier ein Kommentar von Klaus Angerstein: Alles fing damit an, dass der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber in einem seiner genialen Spontaneinfälle den bayerischen Schülern, Lehrern und Eltern quasi über Nacht das achtjährige Gymnasium verordnete. Das ging so schnell, dass nicht einmal die Lehrpläne rechtzeitig umgeschrieben werden konnten. Seither ist die Diskussion über das G8 nicht mehr verstummt. Lehrerverbände, Gewerkschaften und politische Parteien wurden nicht müde, sich am achtjährigen Gymnasium kritisch zu reiben. Weshalb es nicht verwundern muss, dass die Freien Wähler mit ihrem Volksbegehren jetzt wieder einen Schritt zurückgehen wollen - gleichsam in die pädagogisch ruhigere vorstoibersche G9-Ära. Der zuständige Ressortminister Ludwig Spaenle sucht die Debatte mit dem Hinweis abzuwürgen, die Frage nach einer einheitlichen Schulzeit sei überholt. Mehr eine individuelle Entscheidung. Auch ein Versuch, sich eines Problems zu entledigen. Ein erfolgreiches Volksbegehren hätte den Charme, dass die Bildungspolitiker endlich Farbe bekennen müssten. Eine Rückkehr zum G9? Warum denn nicht! Immer noch besser, als auf dem Rücken künftiger Schülergenerationen weiter die pädagogische Dauerdebatte darüber zu führen, wie lange der Königsweg zum Abitur denn nun eigentlich sein darf.