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Lange Nacht der Wissenschaften


Autor: Irmtraud Fenn-Nebel

Nürnberg, Mittwoch, 16. Oktober 2013

Am 19. Oktober findet in Nürnberg, Fürth und Erlangen die Lange Nacht der Wissenschaften statt. 300 Einrichtungen bieten über 1000 Vorträge, Experimente, Rundgänge und ein eigenes Kinderprogramm. Mit dabei: das Brett vorm Kopf.
Hinter dem Brett verbirgt sich Emily Depperschmidt. Sie hat ihre Redeangst besiegt. Foto: Vedrana Simunic


In drei Tagen musst Du einen Vortrag halten. Du fängst an zu schwitzen, das Herz rast, an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Du kippst gleich um. Emily Depperschmidt kennt die Symptome aus eigener Erfahrung: Die nackte Redeangst. Folge: Ein Brett vorm Kopf. Dem wollte die Studentin die Stirn bieten und entwickelte mit Kommilitoninnen ein Seminar gegen Redeangst. Bei der Langen Nacht der Wissenschaften am 19. Oktober stellen sie es vor.

Depperschmidt, Vedrana Simunic, Liz-Sandra Masongele und Annalucia Offermanns studierten im fünften Semester Sozialwissenschaften an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, als sie zum Schwerpunkt Gesundheitshilfe ein Projekt erarbeiten sollten. Depperschmidt schlug das Thema Redeangst vor, weil sie selbst damit Probleme hatte und aus Gesprächen mit anderen wusste, dass viele darunter leiden. "Es kann eine Qual sein, vor Publikum reden zu müssen", sagt sie. Mit normalem Lampenfieber habe das nichts mehr zu tun: "Man merkt, das ist etwas Extremes, das stört Dich im Alltag." Depperschmidt erzählt, sie wollte der Redeangst nicht ausgeliefert sein und sich dadurch ihre Zukunftschancen verbauen. Also suchte sie nach Kursen, fand aber nur Rhetorikseminare: "Zu speziell und für Studenten zu teuer. Da habe ich mir überlegt: Das wäre ein Superthema für unseren Studienschwerpunkt. Wenn's das nicht gibt, bieten wir es selbst an."

Angst ist eigentlich normal ...

Ziel war es, ein Seminar mit Methoden gegen Redeangst zu konzipieren. Das Regionalzentrum für Selbsthilfegruppen Mittelfranken - Kiss - stellte den jungen Wissenschaftlerinnen Räume zur Verfügung, in denen sie sich erst einmal das nötige Wissen angelesen und jede Menge Informationen recherchiert haben. Vor allem schauten sich die Studentinnen - mittlerweile haben sie ihr Studium abgeschlossen - die Entstehung des Problems an: "Angst ist eigentlich etwas Normales", sagt Depperschmidt. "Man braucht sie, um motiviert zu werden. Ohne Lampenfieber würde man sich vielleicht gar nicht so gut auf einen Vortrag vorbereiten."

...aber manchmal stört sie

Bei der Redeangst handele es sich jedoch um eine übersteigerte Form von Angst. Sie löse so viel Stress und Adrenalin aus, dass sie nicht mehr förderlich ist. Symptome wie Schwitzen, Schlafstörungen oder Erröten seien so stark, dass man sich nicht mehr auf den Vortrag konzentrieren kann. Konsequenz: "Die übersteigerte Form der Angst löst eine übersteigerte Form der Symptome aus", erklärt Depperschmidt. "Man entwickelt eine Angst vor der Angst. So entsteht das Brett vorm Kopf und ein Blackout."

Das einzig Gute daran: Wenn man weiß, warum man extreme Angst hat, kann man daran arbeiten. Weil aber Angst individuell ist und jeder Mensch andere Symptome zeigt, haben die Sozialwissenschaftlerinnen für ihr Seminar einen "Methodenkoffer" entwickelt. Darin enthalten: Entspannende, aktivierende und kognitive Methoden. Welche davon für wen geeignet ist, hängt laut Depperschmidt vom Typ ab. Bei manchen Betroffenen ist auch eine Kombination der Methoden die richtige Wahl. Für jeden wichtig sei die kognitive: "Weil Angst im Kopf sitzt, ist es wichtig, wie man eine Situation beurteilt: positiv oder negativ. Dafür muss man aber sein Bewertungsmuster ändern."

1. Bei der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson werden nacheinander die einzelnen Muskelpartien in einer bestimmten Reihenfolge zunächst angespannt, die Spannung wird kurz gehalten und anschließend gelöst. "So kann man Symptome wie Herzrasen lindern", sagt Depperschmidt. Gegen Herzrasen und Schnappatmung vor einem Vortrag hilft außerdem bewusstes Atmen im Bauch statt im Brustkorb.


2. Statt Entspannung kann - je nach Typ - auch Aktivierung die passende Methode sein. Depperschmidt nennt ein Beispiel: "Ich muss einen Vortrag halten, mein Herz rast, ich werde unruhig. Das ist ein Zeichen dafür, dass Adrenalin ausgelöst wird." Um das zu vermeiden, könne man den ganzen Körper bewegen und den Stress aus- bzw. abschütteln.

3. Bei der kognitiven Methode geht es darum, das persönliche Bewertungsmuster zu verändern. "Ziel ist es, einen negativen Gedanken in einen positiven umzuformulieren. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass damit die Angst gelindert werden kann", sagt Depperschmidt. Die Methode kommt aus der Verhaltenstherapie: Den Schrottgedanken ,ich habe Angst, ich kippe gleich um' aufzuspüren und zu entlarven. Ihn dann aufzuschreiben und die Mahnung gegenüberzustellen: Das muss ich ändern. "Das ist nicht einfach", sagt Depperschmidt. "Das muss man trainieren, man hat ja jahrelang mit dieser Gewohnheit gelebt."

In ihrem Seminar arbeiten die Sozialwissenschaftlerinnen mit den drei genannten Methoden gegen das Brett vorm Kopf. "Wir können es zwar nicht vom Hirn wegschlagen", sagt Depperschmidt. "Aber wir können das Bewusstsein dafür wecken, was Redeangst überhaupt ist. Und wir vermitteln den Betroffenen, dass sie nicht allein sind." Man sei nämlich weder als Redner geboren noch müsse man sich dafür schämen, wenn man nicht gut reden kann. Letztlich helfe nur eines: Üben, üben, üben. Das dürfen die Teilnehmer im Seminar der Hochschul-Absolventinnen. "Wir sagen: Blamiert euch bitte, hier habt ihr den Spielraum dafür", sagt Depperschmidt. "Wenn ihr euch das hier zutraut, wird euch das Reden draußen leichter fallen." Ansonsten rät Depperschmmidt, vom Anspruch der Perfektion herunterzukommen. "Was kann schon passieren?" fragt sie. "Im schlimmsten Fall blamiere ich mich halt. Aber davon geht die Welt auch nicht unter. Man kann nicht immer die Erwartungen anderer erfüllen."


Die Lange Nacht der Wissenschaften: So läuft sie ab

Termin Die 6. Lange Nacht der Wissenschaften findet am Samstag, 19. Oktober, von 18 bis 1 Uhr in Nürnberg, Fürth und Erlangen statt und ist eines der größten Wissenschaftsfestivals Deutschlands.

Teilnehmer sind :
die sechs Hochschulen der Region: Uni Erlangen-Nürnberg, Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, Evangelische Hochschule Nürnberg, Hochschule für Musik Nürnberg, Akademie der Bildenden Künste, Wilhelm Löhe Hochschule für angewandte Wissenschaften Nürnberg,
Forschungseinrichtungen wie u.a. Fraunhofer-Institute, das Max-Planck-Institut, Energiecampus Nürnberg und Medical Valley Europäische Metropolregion Nürnberg EMN e.V.
forschungsaktive Unternehmen von z.B. Siemens über Schaeffler bis MAN, die die Veranstaltung auch sponern,
sowie Behörden wie z.B. das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Programm Die Besucher können an 130 Veranstaltungsorten hinter die Kulissen von 300 Einrichtungen blicken. Über 1000 Experimente, Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Diskussionen, Praxisbeispiele und Rundgänge werden angeboten. Es gibt neun Touren in verschiedenen Stadtteilen, außerdem zwei U-Bahn-Touren und die Medical Valley-Medizintechnik-Tour.

Kinder Für Kinder ab vier Jahren sponsert die Hermann Gutmann Stiftung ein eigenes Kinderprogramm. Zwischen 14 und 17 Uhr finden am 19. Oktober Vorlesungen, Experimente, Führungen und Mitmach-Aktionen statt.

Redeangst Die interaktive Vorlesung findet auf der Tour Nürnberg West um 20 und 23.30 Uhr in der evangelischen Hochschule Nürnberg statt, Eingang Roonstraße 27, Raum S 18.

Tickets und Programmhefte gibt es an den bekannten Vorverkaufsstellen in ganz Franken. Die Tickets für Eintritt und Shuttlebusse kosten 12, ermäßigt 8 Euro (Kinder unter sieben sind frei). Sie gelten von Samstag, 12 Uhr, bis Sonntag, 8 Uhr, als Fahrkarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel im Verkehrsverbund Großraum Nürnberg. Mehr Infos dazu und zum Programm unter www.nacht-der-wissenschaften.de.