Bei schönem Wetter kann ja jeder, dachte ich. Und außerdem gehört zu diesem Sommer definitiv der Regen. Deshalb findet der Ausflug nach Marktgraitz bewusst mal an einem tristen Tag statt. Schon klar, dass an der "Einstichstelle" des Pfeils im Niesel unter freiem Himmel - welch' Wunder, es ist ein Acker! - nichts los ist. Also wieder hinein ins Auto und auf zu einer Rundfahrt, die eine Überraschung nach der anderen bringt. Erstmal in die Privatbrauerei Die erste gibt es gleich am Ortseingang des 1300-Seelen-Dorfs im oberfränkischen Landkreis Lichtenfels: Ein Hinweis auf die "Rosenauer Hofbräu". Bingo! Die Tür eines Nebengebäudes steht offen, da muss es sein. "Hallo"? Ein Mann streckt den Kopf heraus und bittet nach kurzer Vorstellung freundlich herein: Steffen Schmölzing hat sich eine professionelle Kleinbrauerei mit allem Drum und Dran eingerichtet. "Ich hinterfrage viel und irgendwann wollte ich wissen, was Bier ist", erzählt er mit breitem Lächeln und strahlenden Augen. "Was muss man machen, dass es entsteht, dass es schäumt?" Er brachte sich die Grundkenntnisse selbst bei und braute in einem kleinen Kessel erst Braunbier, später kam ein Helles dazu. Und wie es oft so ist: Das Eigenprodukt mit regionalen Zutaten habe Familie und Freunden so gut geschmeckt, dass es durch Mundpropaganda bekannter wurde. Die Nachfrage stieg und Schmölzing - im Hauptberuf Polizist - baute sein Hobby aus und eine Scheune zur Privatbrauerei um. "Viele Behördengänge waren nötig, bis alles den Anforderungen entsprochen hat", erzählt er. Jetzt braut er 1500 bis 2000 Liter unfiltriertes Bier im Monat. "Die Flaschen haben wir selbst entworfen, die Kisten für die Zweiliterflaschen lassen wir in einer Behindertenwerkstatt bauen." Seine Tochter klebt die Etiketten auf, seine Frau erledigt die Buchführung. "Wir machen alles in unserer Freizeit. Man braucht schon viel Idealismus dafür." Auf dem Berglein passiert es einfach Verkauft wird das Bier ausschließlich ab Hof, der Liter für 2,50 Euro. Natürlich probieren wir einen Schluck und überlegen dabei, wie unser Ausflug weitergehen könnte. Schmölzing hat eine Idee und fährt voraus: Wir treffen Heinrich Gesslein auf dem Berglein, dem Hausberg von Marktgraitz. "Hier waren schon die Kelten", werden wir aufgeklärt. "Den Keltengedanken will die Gemeinde weiterspinnen und unsere Gegend touristisch noch besser ausbauen", sagt Gesslein und zeigt mit weit ausladender Handbewegung rund um Berglein und Tal. Tausendsassa Heinrich Gesslein Der kernige Naturbursche ist Krankenpfleger von Beruf, vor allem aber ein Tausendsassa. Gerade repariert er im wasserfesten Overall den Zaun an einer seiner Wiesen, er hält als Biobauer im Nebenerwerb 20 Rinder. Außerdem baut er Weiden für die Flechtwerkgestalter des Design- und Innovationszentrums in Lichtenfels an, stellt Weiden-Tipis für Kindergärten her, gibt Flechtkurse und verschönert den Ort mit seiner Kunst. Vorstand im Gesangverein ist er obendrein. Und weil ihm sein "Graatz" am Herzen liegt, nutzt er unseren Zufallsbesuch und sagt kurz entschlossen: "Ich führe euch ein bisschen herum." Und plötzlich haben wir einen Führer So ist das bei unserer Sommerserie - es passiert einfach. Zunächst steuern wir den Bioland-Hof von Markus und Nadine Bätz an. Die Chefin hält Hühner und betreibt auf dem großen Anwesen eine Pferdepension mit Offenställen und viel Platz im Freien. Im Regenponcho bereitet sie gerade das Futter vor, auf dessen Freigabe die Pferde schon mit aufgestellten Ohren in Reih und Glied warten. "Wir haben den Hof vor sieben Jahren gekauft und sind in der Gemeinde gut aufgenommen worden", erzählt Nadine Bätz. Ein Mann kommt dazu und fragt nach "den 80 Eiern." 80 Eier? Das will die neugierige Reporterin natürlich genauer wissen. Der Kunde entpuppt sich als Nadines Vater, der die Bioeier für Kunden im Frankenwald mitnimmt. 1200 Euro für Babys gefederte Fahrt Auch wir steigen wieder ins Auto und lassen uns von unserem Führer mit einem weiteren Ziel überraschen. Genauso überrascht ist Patricia Hesselbacher, als wir vor ihrem Büro stehen. Wir sind in der Firma Hesba gelandet, die - typisch für die Gegend - seit 1925 Korbwaren und Puppenwagen herstellte und sich in den 60er-Jahren auf Kinderwagen spezialisierte. Sie werden im früheren Wohnhaus der Familie von 15 Mitarbeitern Stück für Stück komplett von Hand gefertigt. Die Chefin nimmt sich kurz Zeit für einen Rundgang. Im ersten Stock - "hier waren unsere Kinderzimmer" - sitzen die Näherinnen, im Erdgeschoss werden Aufsätze und Gestelle zusammengeschraubt. "Das Besondere an unseren Kinderwagen ist die Federung", sagt Hesselbacher und schuckelt zum Beweis an einem Modell. Die Kunden können bei Fachhändlern die Ausstattung anhand von Katalogen selbst zusammenstellen und bekommen nach drei Wochen eine Luxuskarosse: "Mit 1200 Euro muss man schon rechnen." Als Letztes führt uns Gesslein zum Sägewerk der Familie Partheymüller, gegründet 1852 und romantisch an der Rodach gelegen. Im Hof steht der Senior, der uns gleich weiterschickt zu seinem Sohn Günter. Dieser hat sich auf die Fertigung von Paletten spezialisiert und zeigt uns im Schnelldurchlauf seine Maschinen. Sehr interessant das auch noch zu sehen, aber so langsam schwirrt uns der Kopf. Etwas müde - das frühe Bier !? - machen wir uns auf den Rückweg und resümieren: In Marktgraitz ist ganz schön viel geboten. Herrlich, was man an so einem Regentag erleben kann! Lesen Sie am Dienstag von Günter Flegels Ausflug nach Waldbüttelbrunn.