Verkehrte Welt: Ab und an hat es die CSU mit den politischen Spielregeln nicht so genau genommen, in solchen Fällen aber stets lange ihre Unschuld bekundet. Jetzt ist sie objektiv tatsächlich unschuldig, nimmt aber dabei reflexartig eine Verteidigungshaltung ein, die man gut mit dem bekannten Satz aus dem Fernsehkrimi kommentieren könnte: " Was sie sie von jetzt an sagen, kann gegen sie verwendet werden."Nicht weniger reflexartig kommen die Reaktionen: Das Wort vom "Amigo" und vom "Filz" macht die Runde im politischen München, denn die Lawine, die mit dem Rücktritt von CSU-Fraktionschef Ge org Schmid losgetreten wurde, bedient alte Denkmuster: das politische Amt, ein Selbstbedienungsladen? Die Antwort darauf folgt ebenfalls dem Muster: Entrüstung, Erklärung, Rechtfertigung. Und am Ende die Flucht nach vorne, schlechtes Gewissen inklusive trotz objektiver Unschuld.Die hat jetzt Landtagspräsidentin Barbara Stamm angetreten. Sie hat am Freitag unter gewaltigem Medieninteresse die Namen der 79 Abgeordneten veröffentlicht, die wie Schmid seit 2000 nahe Verwandte in ihren Büros beschäftigt und somit aus Steuergeldern bezahlt haben. Sie wolle für "Transparenz und Klarheit" sorgen, verkündet Stamm; notfalls auch gegen den Willen der Abgeordneten. "Dann sollen sie mich halt verklagen", sagt die Grande Dame der CSU aus Würzburg. Transparenz und Klarheit fügt sich auch in das Muster, denn das klingt so, als wäre bislang vertuscht und verheimlicht worden. Was bei dieser "Affäre" aber gar nicht stimmt, denn alle Beschäftigungsverhältnisse, die jetzt ins Zwielicht geraten sind, entsprechen dem geltenden Recht. Und der Reflex vom schlechten Gewissen der CSU ist in diesem Fall auch nur die halbe Wahrheit; unter den Namen sind auch Abgeordnete der anderen Fraktionen, die FDP als einzige ausgenommen, was Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ob des Umfangs der "Selbstbedienung" schäumen und wegen der eigenen Unschuld frohlocken lässt: "Die Liberalen sind das Rückgrat dieser Regierung." Während SPD-Spitzenkandidat Christian Ude reflexartig den Rücktritt des halben Kabinetts fordert, dabei übersehend, dass auch Abgeordnet der SPD in dem "Familiendrama" im Maximilianeum mitspielen.Sie alle nutzten/nutzen eine Besonderheit des bayerischen Abgeordnetenrechts, das in diesem Punkt großzügiger ist als die entsprechende Regelung auf Bundesebene (mit der sich zuletzt die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär aus Ebelsbach herumschlagen musste): Zwar hat der Bayerische Landtag die Beschäftigung naher Verwandter in den Büros der Abgeordneten 2000 per Gesetz untersagt, für "Altverträge" aber einen Bestandsschutz eingeräumt. "Deswegen haben wir uns nichts vorzuwerfen, das war alles rechtes und mit der Landtagsverwaltung bis ins Detail abgestimmt", entrüstet sich der Innenstaatsekretär Gerhard Eck aus Unterfranken über die "mediale Hysterie". Gleiches Recht für alle? Er beschäftigte wie sein Landtagskollege Heinrich Rudrof aus Bamberg, der am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen war, oder Robert Kiesel aus Bad Kissingen (beide auch CSU) in seinem Büro die eigene Ehefrau und bezahlte ihr Gehalt aus dem Budget, das den Abgeordneten für diese Zwecke zur Verfügung steht. Das Geld blieb also in der Familie, "aber das hat den Steuerzahler doch keinen Cent mehr gekostet als bei einer anderen Bürokraft", sagt Eck, der das Verhältnis mit seiner Frau - das Beschäftigungsverhältnis - beendet hat. Dass sie trotzdem in seinem Büro ans Telefon geht, kann Eck erklären: "Das macht sie jetzt ehrenamtlich, in meinem Büro muss ja jemand erreichbar sein." Unter Beobachtung Dass das alles rechtes ist, bestreiten die Abgeordneten nicht, die nicht auf Stamms Liste stehen, und die haben bei 187 Sitzen im Landtag immerhin die absolute Mehrheit. "Aber nicht alles, was erlaubt ist, muss man auch tun", sagt ein CSU-Abgeordneter, der nicht genannt werden will. "Wir wissen doch alle, die wir schon ein paar Tage in diesem Geschäft sind, dass man als Politiker unter besonderer öffentlicher Beobachtung steht." Die aufgeregten Reaktionen regen den Politiker aus Franken noch mehr auf als die unterschwelligen Vorwürfe gegen seine Kollegen. "Wenn jetzt alle plötzlich Aufklärung versprechen, dann heißt das doch in der öffentlichen Wahrnehmung, dass bislang etwas verschleiert wurde. was natürlich Quatsch ist." Für unglücklich hält der Abgeordnete allerdings, dass die "Altfallsregelung" seit so langer Zeit - zwölf Jahre - stillschweigend gilt. "Womöglich war die Regelung deshalb auch aus der Wahrnehmung vieler Kollegen verschwunden."Zuletzt gerieten prominente Regierungsmitglieder in die Schusslinie - darunter Justizministerin Beate Merk und Agrarminister Helmut Brunner. Merk bestätigte auf Anfrage, dass sie von 2010 bis 2013 ihrer Schwester zeitweise Büroaufträge erteilte. Agrarminister Brunner teilte mit, er habe als Abgeordneter seine Frau von 2000 bis 2009 beschäftigt, für maximal 919 Euro netto im Monat. Fraktionschef Georg Schmid war vergangene Woche zurückgetreten, weil er seine Frau als Sekretärin beschäftigt und ihr dafür knapp 2300 Euro netto bezahlt hatte.CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt verteidigte den Kurs seiner Partei. "Wir gehen das aktiv an, ziehen die Konsequenzen, verschärfen die Regeln und stellen das ein für alle Mal ab", sagte er am Freitag.