Das Tauziehen um die Energiewende wird zu einer Zerreißprobe für die Große Koalition. Bisher haben Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) einen offenen Streit vermieden. Lange wird das so aber nicht mehr gehen. Gabriel ist stinksauer wegen der wiederholten Querschüsse aus München vor allem beim Netzausbau."Es ist bald so weit, dass dem Sigmar der Appetit vergeht, und dann wird es ernst", heißt es aus dem Umfeld des SPD-Chefs und Vizekanzlers im Wirtschaftsministerium in Berlin. Die Hauptstadt feiert gerade Oktoberfest auf dem Alex, mit Haxen, Brezln und Bierpreisen fast wie auf der Wiesn, aber für Gabriel hat alles andere, was aus München kommt, nichts mehr mit bayerischer Folklore zu tun. Er kocht.Und zwar deshalb, weil Bayern bei der Energiewende sein eigenes Süppchen anrührt. Dabei haben die Kanzlerin und der Vizekanzler bei jeder Gelegenheit betont, dass die Energiewende ein Schlüsselprojekt der Koalition ist, DIE zentrale Herausforderung in der laufenden Legislaturperiode und eine nationale Aufgabe, die keinen Platz für Kirchturmdenken lässt. Am allerwenigsten für Alleingänge, wie sie Bayern mit den Abständen für die Windräder und dem mehr oder weniger kategorischen Nein zu neuen Stromtrassen praktiziert, seit der erste Koalitionsausschuss abgesagt wurde.Nächste Woche soll sich die Runde der Parteichefs wieder treffen. Wieder in Anführungszeichen, denn seit es die Groko gibt, wurde alle Treffen dieses Spitzengremiums ebenso schnell gestrichen wie anberaumt, zentrale Streitfragen wie die Maut oder eben auch die Details der Energiewende werden nicht im Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert und auf den Punkt gebracht, sondern vor Publikum zerredet. Eine einzige große Baustelle Nun herrscht bei der Maut vergleichsweise große Klarheit und Einigkeit, wenn man auf den Fahrplan der Energiewende schaut. Hier ist nur klar, dass die Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden und dass Windkraftwerke Strom produzieren, wenn der Wind weht, und Solaranlagen, wenn die Sonne scheint. Alle andere Fragen der größten Baustelle, die diese Regierung in Berlin aufgemacht hat, sind unbeantwortet.Wie schließt man mögliche Versorgungslücken bei Windflaute und Düsternis? Wie bringt man den Strom von A nach B, wenn die Zentren der Erzeugung und des Verbrauchs anders als bisher hunderte Kilometer auseinander liegen? Wie sorgt man dafür, dass der Strompreis nicht zur sozialen Frage wird? All diese Fragen gehören zusammen, und sie lassen sich nur in einem bundesweiten Konsens lösen. Den gab es schon einmal, und ein Teil von ihm war der Netzausbauplan, vom Bundestag und vom Bundesrat beschlossen und bis heute Grundlage für die Pläne, neue Stromautobahnen unter anderem durch Unter-, Ober-und Mittelfranken zu bauen. Bayern legt sich hier quer, will die Notwendigkeit der Trassen in einem "breiten Dialog" mit den Bürgern diskutieren, wie Bayerns Energieministerin Ilse Aigner (CSU) das mit Seehofers ausdrücklicher Rückendeckung formuliert. Das bedeutet zu erst einmal vor allem eins: Zeitverzögerung. Und genau daran könnte nach Meinung aller Experten die Energiewende scheitern. Und damit wohl auch die Groko. Ob Gabriel dann wieder Appetit auf das Oktoberfest in Berlin hat? Vielleicht. Lange Leitung oder nicht - was sind die Alternativen zum Netzausbau? In Ober-, Mittel- und Unterfranken haben sich Dutzende Bürgerinitiativen gebildet, die den Bau der beiden großen Gleichstromtrassen durch Franken verhindern wollen: Südlink im Westen, die Gleichstrompassage Südost (oder eine neue, ähnliche Leitung) im Osten Bayerns.Die anhaltende Diskussion, ob, wann und wo die Trasse gebaut werden, sind eine Zerreißprobe für die Nerven der Bürger, die sich mit Argumenten gegen die "Monstermasten", wie sie sagen, rüsten. Namhafte Wissenschaftler stehen auf der Seite der "Wutbürger" und stellen den Netzausbau in Frage.Warum? Drei neue große Gleichstromtrassen sollen den Strom aus den großen Windparks im Norden in den Süden bringen. Denn, so die geltende Meinung, wenn im Süden die Kernkraftwerke abgeschaltet werden (Grafenrheinfeld 2015), drohen Versorgungslücken, vor allem wegen des Energiebedarfs der Großindustrie in Bayern und Baden Württemberg.Dezentral Kritiker des Stromnetzausbaus monieren vor allem, dass mit dem Bau großer Überlandleitungen die zentrale Versorgung und die Macht der Netzbetreiber gefestigt wird. Sie sehen eine Alternative in dezentralen Lösungen. So betreibt etwa die Papierfabrik Palm in Eltmann ein eigenes Kraftwerk zur Energieversorgung.Gas Ein neuer Ansatz ist die Power-to-Gas-Technik: Zu viel produzierter Strom aus Wind- und Sonnenkraftwerken wird durch Elektrolyse (Zerlegung von Wasser mit Strom) in Wasserstoff umgewandelt, der Wasserstoff in Methan. Dieses Gas kann im bereits vorhandenen Leitungsnetz bundesweit verteilt und in Gaskraftwerken wieder zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Problem bei sind die hohen Verluste bei der zweifachen Umwandlung, der Wirkungsgrad ist schlecht.Kraftwerke Bayern setzt auf Gaskraftwerke, die in die Bresche springen, wenn Wind und Sonne zu wenig Strom produzieren. Allerdings müssten diese Kraftwerke vom Betreiber im Standby-Betrieb vorgehalten werden, der Staat, sprich der Stromkunde müsste diese teure Netzreserve bezahlen.Netze Das Stromnetz muss nicht ausgebaut, es muss nur geschickt erneuert werden, sagen andere Experten. "Intelligente" Netze und leistungsfähigere Leiterseile können in vorhandenen Leitungen mehr Strom transportieren, ebenso Transformatoren, deren Leistung sich je nach Bedarf regeln lässt. Auch dieser Netzumbau braucht Zeit. Und Geld.Sparen Die wichtigste Säule der Energiewende spielt bei allen Diskussionen eine untergeordnete Rolle: Der Stromverbrauch müsste drastisch gesenkt werden, im Privatbereich ebenso wie in der Industrie. Möglich ist es, gesellschafts- und mehrheitsfähig aber wohl (noch) nicht. Kommentar von Günther Flegel: "Viel Energie, die verpufft" Bei vielen Streitfragen, die die Koalition in Berlin in Dauerstress versetzen, ist der politische Wille gefragt. Und da lässt es sich trefflich streiten. Gerade das braucht es aber bei der Energiewende nicht. Da geht es um Physik, Technik, Fakten. Und davon lassen Politiker besser die Finger, sie sollen die Experten ranlassen.Bayern deckt die Hälfte seines Stroms heute mit Hilfe der Atomenergie und ist Sitz zahlreicher Unternehmen, die enorm viel Strom verbrauchen. Schaltet man die Atomkraftwerke ab, fehlt der Strom. Das ist so einfach, dass es mancher Politiker einfach nicht begreifen mag. Bayern stoppt den Ausbau der Windenergie, Bayern will keine Pumpspeicherkraftwerke, Bayern braucht keine neuen Stromleitungen. Das hat etwas vom trotzigen Kind, das seine Suppe nicht essen will. Nun ist eine solche Haltung nicht nur bayerischer Unfug, sie ignoriert auch die Tatsache, dass ein Stromnetz so heißt, weil es eben ein Netz ist: Die Kraftwerke und Verbraucher sind bundesweit, längst europaweit vernetzt, Bayern kann sich gar nicht abkoppeln und "seinen" Strom selbst produzieren, bevorzugt aus heißer Luft, die seine Politiker produzieren. Der bayerische Weg bei der Energiepolitik ist aber eben kein fachlich fundierter, sondern ein rein politisch begründeter. Damit führt er in eine Sackgasse. Horst Seehofer schafft seiner designierten Erbin Ilse Aigner damit einen bundespolitischen Spielplatz, das ist das Kalkül.Die darf sich mit der Ankündigung, den Stromnetzausbau mit den Bürgern zu diskutieren, sogar ein wenig als Mutter des Freistaats in Szene setzen. Physik, Technik, Fakten? Braucht man nicht im Freistaat. Aber wie bitte soll der Bürger da mitreden, wo selbst der Sachverstand der meisten Politiker nicht reicht? Es wird viel Zeit verloren gehen und viel Energie verpuffen. Energiewende auf Bayerisch.