Schmerzen: Spritzen allein helfen nicht

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Leisure Sickness: Das steckt hinter der Freizeit-Krankheit
Urlaub und plötzlich liegt man flach: "Leisure Sickness" ist ein besonders ärgerliches Phänomen. Aber was steckt hinter der "Freizeit-Krankheit"?
Leisure Sickness: Das steckt hinter der Freizeit-Krankheit
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Die Schmerzexperten Dirk Boujong (links) und Christoph Sommer beantworteten an unserem Redaktionstelefon die Fragen unserer Leser. Foto: Ronald Rinklef
Die Schmerzexperten Dirk Boujong (links) und Christoph Sommer beantworteten an unserem Redaktionstelefon die Fragen unserer Leser. Foto: Ronald Rinklef
 

Um chronische Schmerzen zu behandeln, braucht es ein ganzheitliches Konzept. Betroffene bekamen bei einer Telefonaktion unserer Zeitung Rat von zwei Experten. Infos gibt es auch bei einem Tag der offenen Tür am 15. November 2014 im Schmerzzentrum des Bezirksklinikums Obermain in Kutzenberg.

Die Resonanz auf die Telefonaktion dieser Zeitung zum Thema "Schmerz" bestätigte, was die Statistiken vermelden: Am häufigsten leiden die Betroffenen an Rücken- oder Kopfschmerzen und sie müssen lange auf eine Therapie warten - die oft nicht anschlägt.

Deshalb waren die Mediziner Christoph Sommer und Dirk Boujong vom Interdisziplinären Schmerzzentrum am Bezirksklinikum Obermain Kutzenberg (Ebensfeld) gefragte Ansprechpartner an unserem Redaktionstelefon und legten sogar eine kleine Sonderschicht ein, um über die ursprünglich geplante Zeit hinaus die Fragen unserer Leser zu beantworten.

23 Millionen Menschen betroffen

Einer neuen Studie der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie zufolge berichten etwa 23 Millionen Deutsche über chronische Schmerzen.
Das sind 28 Prozent der Bevölkerung statt wie bisher geschätzt 15 bis 25 Prozent. "Diese Zahlen entsprechen dem, was wir in der Klinik erleben", sagen Sommer und Boujong. Heruntergerechnet auf zum Beispiel auf Oberfranken sind in der Region statistisch bis zu 30 000 Menschen betroffen. Sie haben aber nicht nur hin und wieder ein bisschen Kopfweh: "Wir reden hier von einer schweren, sozial ausgrenzenden und die Sozialsysteme belastenden Erkrankung", sagen Sommer und Boujong.

Wie kann es soweit kommen? Menschen mit chronischen Schmerzen haben eine Leidensgeschichte, die durchschnittlich sieben Jahre andauert, bei mehr als 20 Prozent dieser Patienten über 20 Jahre lang. Über die Hälfte der Betroffenen erhält erst nach zwei Jahren eine ausreichend wirksame Schmerzbehandlung, nur zehn Prozent aller chronischen Schmerzpatienten in Deutschland wurden je einem Schmerzspezialisten vorgestellt.

Kein Wunder, dass in der neuen Studie gut 24 Prozent der Befragten angeben, mit ihrer Schmerzbehandlung unzufrieden zu sein. Das bestätigten auch die Gespräche mit den Teilnehmern unserer Telefonaktion, die mit ihren Beschwerden laut Sommer und Boujong "einen Querschnitt durch die Bevölkerung" widerspiegelten: Rücken-, Kopf -, Nerven- und Gelenkschmerzen.

Lange Leidensgeschichten

Viele der Betroffenen berichteten von einem langen Krankheitsverlauf mit hohem Medikamentengebrauch, vielen Therapieversuchen und teilweise auch sozialer Isolation nach dem Verlust des Arbeitsplatzes. "Manche haben Schmerztherapien mit vielen Spritzen hinter sich und sagten, das will ich nicht nochmal", sagen Sommer und Boujong.

Dabei müssten Spritzen gar nicht sein: Die Kutzenberger Mediziner arbeiten mit der multimodalen Schmerztherapie, die auch in Schmerz- und Schmerztageskliniken in Bamberg, Erlangen, Coburg, Schweinfurt, Würzburg, Fürth und Nürnberg angewandt wird. Bei diesem Konzept kümmern sich gleichzeitig auf Schmerz spezialisierte Ärzte, Psychologen, Pflegekräfte, Physio- und Sporttherapeuten, Bewegungs- und Ergotherapeuten sowie Sozialarbeiter um die Patienten.

"Alle Ebenen der Schmerzerkrankung werden erfasst", erklären Sommer und Boujong. "Dazu gehören körperliche und seelische Faktoren ebenso wie soziale." Bei schweren chronischen Schmerzerkrankungen bringe es nichts, die Betroffenen vier Wochen lang intensiv mit Infusionen zu behandeln. "Die Therapie soll langfristig helfen."

Komplexe Therapie

Weil die betreffenden Kliniken in Bayern ähnliche multimodale Therapien anbieten, seien die Ergebnisse vergleichbar - und die Zahlen gut. Viele Studien zum Beispiel an Rückenpatienten hätten gezeigt, dass nach einem multimodalen Programm deutlich mehr Teilnehmer an den Arbeitsplatz zurückkehrten als bei den herkömmlich Behandelten.

"Wenn man die Patienten ein halbes Jahr nach der Therapie untersucht, geht es den meisten so gut wie nach ihrer Entlassung", sagen Sommer und Boujong. Für spezielle Schmerzprobleme stehen auch andere Therapieformen zur Verfügung: So kann bei Nervenschmerzen die Einpflanzung eines Schmerzschrittmachers Hilfe bringen.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung sei jedoch, dass der Betroffene merkt: Ich habe ein Problem. Hin und wieder Kopfschmerzen sind normal. Bei acht Tagen Schmerzen pro Monat mit Flachliegen sei jedoch Schluss. "Das kann zu einer Medikamentenabhängigkeit führen und die Aufrechterhaltung von Schmerzen begünstigen", warnen die Experten.

Tag der offenen Tür im Schmerzzentrum