In Schweinfurt blicken viele Bürger besonders aufmerksam auf die Ereignisse in Schottland. Seit 52 Jahren verbindet die unterfränkische Kugellagerstadt mit dem schottischen Motherwell (heute Teil der Großgemeinde North Lanarkshire) eine Partnerschaft, die nicht nur offiziell etwa durch die Schulen sehr rege gepflegt wird. Aus den einstigen Feiden im Zweiten Weltkrieg wurden 1962 Freunde, wobei sich Schweinfurt und Motherwell nicht zuletzt auch deshalb nahe kamen, weil die kleine schottische Stadt mit heute noch knapp 30 000 Einwohnern bis in die 80er Jahre ein wichtiges Zentrum der Stahlproduktion war. Die Industrie ist kollabiert; anders als Schweinfurt hat sich Motherwell von dieser Krise nie mehr erholt. Wohl auch deshalb gibt es in dieser Region Schottlands offenbar deutlich mehr Befürworter für ein Verbleiben in der englischen (Königs-)Familie als Freunde der Unabhängigkeit. Bei den jüngsten Partnerschaftsbesuchen in Motherwell und in Schweinfurt war die Volksabstimmung das beherrschende Thema. Die Meinungslage in seiner Heimatregion fasst der Bürgermeister von North Lanarkshire, Jim Robertson, zusammen: Er steht zu Schottland, sei wie die allermeisten seiner Landsleute ein hundertprozentiger Schotte, eng vertraut mit der Tradition und der Geschichte, die über hunderte von Jahre vom Kampf der Schotten um ihre Freiheit geprägt war, einem nicht immer, aber allzu oft blutigen Kampf (William Wallace = "Braveheart"). Doch die Zeiten haben sich geändert, sagt der Politiker,die europäische Einigung sei eine großartige Errungenschaft und eine historische Chance für alle Staaten der Union. Weniger statt neue Grenzen Europa brauche weniger Grenzen, nicht etwa neue, und abgesehen davon würde die Unabhängigkeit Schottland finanziell und wirtschaftlich überfordern. "Das wäre ein Schritt zurück, wir gehen aber nach vorne", sagt Robertson. "We must say no and we will say no." Nein zur Unabhängikeit sieht, eine Abspaltung aber ablehnt. Ein Europa mit noch mehr Grenzen findet er nicht gut, eine Unabhängigkeit werde finanziell nicht zu schultern sein, erklärt er. Jimmy Martin, der lange im Stadtrat von Motherwell saß und bekennender Schweinfurt-Freund ist, plädiert gegen die schottische Unabhängigkeit, zumal zum jetzigen Zeitpunkt. "Es gibt viel zu viele offene Fragen", meint er. Gordon Smith dagegen, der früher als Wirtschaftsreferent von Motherwell aktiv war und die Partnerschaft mit Schweinfurt gefördert hat, spricht differenzierter und damit für viele Schotten: "Der Kopf sagt Nein, aber das Herz sagt Ja zur Unabhängigkeit". Er sieht ein offenes Rennen, da viele Wähler bis zur Stunde unentschieden noch sind. Pro: Demokratie Schottland wählt Labour oder SNP, also sozialdemokratisch. In London dagegen regiert der Konservative David Cameron mit seinen Tories - auch über Schottland. Als unabhängiger Staat könnten die Schotten über ihre Regierung selbst bestimmen. Öl Der allergrößte Teil der britischen Öl-Vorräte schlummert unter schottischem Meeresboden. Wird das Land unabhängig, kann es über Steuereinnahmen aus den Gewinnen der Ölkonzerne selbst verfügen. Atomwaffen Schottland beherbergt in der Militärbasis Faslane britische Atomwaffen, die es nicht haben will. Wäre das Land selbstständig, könnte es die Waffen in absehbarer Zeit loswerden. Näher dran Schottlands Probleme, Schottlands Lösungen. London ist zu weit weg, eine mit allen Kompetenzen ausgestattete Regierung in Edinburgh weiß besser, was gut für ihr Volk ist. Kleine Länder Andere können es auch. Gern verweist Edinburgh auf Norwegen, das wie Schottland gut fünf Millionen Einwohner hat und von seinen Erdöl-Vorkommen profitiert. Auch Finnland und Dänemark sind nicht viel größer, aber angesehene Staaten. Contra: Währung Die Bank of England regelt den Verkehr des britischen Pfunds. Spaltet sich Schottland ab, ist sie nach Darstellung Londons nicht mehr zuständig - und Schottland steht ohne eigene Währung und Zentralbank da. Arbeitsplätze Geht der britische Binnenmarkt verloren, geraten laut "Better together"-Kampagne bis zu 600 000 Arbeitsplätze in Gefahr. Denn so viele Schotten seien bei Unternehmen beschäftigt, die entweder ihren Sitz außerhalb Schottlands haben oder deren wichtigster Absatzmarkt Rest-Britannien ist. Sicherheit Großbritannien hat ein Verteidigungsbudget von 34 Milliarden Pfund (ca. 42,6 Milliarden Euro) und schützt damit seine Bürger - auch im Norden. Das vorgesehene Budget in einem unabhängigen Schottland ist sehr viel kleiner. Das hält London für gefährlich, etwa wegen der Cyber-Kriminalität. Renten und Sozialsysteme Im Vereinigten Königreich verteilen sich die Kosten für soziale Leistungen auf mehrere Schultern. Schottlands Bevölkerung altert schneller als der britische Durchschnitt und profitiert bei den Renten deswegen in besonderem Maße. Von allen Teilen Großbritanniens hat Schottland die niedrigste Geburtenrate. EU  Großbritannien ist eines der einflussreichsten EU-Länder. Dass Schottland überhaupt EU-Mitglied werden könnte, ist keine ausgemachte Sache. Außerdem fiele wohl der Briten-Rabatt weg.