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Seehofer droht Merkel


Autor: Klaus Angerstein

München, Mittwoch, 27. Januar 2016

Die Schwesterparteien CDU und CSU im Streit: Es geht um die Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Merkel will keine Obergrenze, dafür eine europäische Lösung. An die glaubt die CSU nicht. Und droht deshalb mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht.
Bilder: dpa, Grafik: FT


Der Zweck heiligt die Mittel. Um zu einer Begrenzung der Flüchtlingszahlen zu kommen, scheut Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Horst Seehofer auch nicht davor zurück, Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu erheben. Sagt er zumindest. Gegen die Bundesregierung und damit gegen die Bundeskanzlerin Angela Merkel also.

Und damit auch gegen die Schwesterpartei CDU. Zum ersten Mal nahm Seehofer die Drohung im Oktober letzten Jahres in den Mund. Die wiederholte er jetzt in einem Schreiben an die Kanzlerin.


Kehrtwende gefordert

Ultimativ wird darin eine unverzügliche Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik gefordert. Es gehe darum, an den Grenzen wieder Recht und Ordnung herzustellen, heißt es in dem Schreiben, das morgen in voller Länge im Internet veröffentlicht werden soll. Konkret will die CSU eine wirksame Sicherung der EU-Außengrenzen, andernfalls effektive eigene Grenzkontrollen. Flüchtlinge sollen vollständig registriert werden, bei einer Obergrenze von jährlich 200 000.

Flüchtlinge, die aus einem sicheren Nachbarland einreisen - das trifft auf nahezu jeden Flüchtling zu - sollen an der Grenze zurückgewiesen werden. Wie würde das Bundesverfassungsgericht mit der Klage der Bayern umgehen?
Rechtsgrundlage wären demnach ein Streit zwischen Bund und Ländern, zu behandeln wie eine Organstreitigkeit. "Der eine (der Bund) hält das Recht nicht ein und der andere (das Land) will, dass es eingehalten wird." So sieht es Seehofer.


Verfahrensweise

Wer auch immer klagt, das Bundesverfassungsgericht hält sich strikt an vorgegebene Verfahrensweisen. Und die beschreibt Michael Allmendinger, Sprecher des Karlsruher Gerichts wie folgt: Die Klage muss zunächst einmal schriftlich eingegangen sein. Es folgt die Überprüfung der Zulässigkeit. Wird diese bejaht, übernimmt ein Richter die Bearbeitung des Verfahrens als Berichterstatter. In dem wird ein schriftliches Gutachten erstellt, es erfolgt eine rechtliche Analyse und ein Entscheidungsvorschlag.

In einem Bund-Länderstreit wie diesem muss der Antragsteller Bayern geltend machen, dass ein ihm zustehendes föderales Recht unmittelbar verletzt oder gefährdet worden ist. Die allgemeine Behauptung, der Antragsgegner verstoße gegen Verfassungsrecht, genüge hier nicht, so Allmendinger.


Einstimmiges Votum

Die Entscheidung der zuständige Kammer des Gericht muss im übrigen einstimmig ergehen. Zuvor werde natürlich allen Beteiligten die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. All das hört sich ziemlich langwierig an. Ist es wohl auch. Die Verfahren in Karlsruhe dauern im Schnitt zwei Jahre. Im vorliegenden Klagefall wäre das problematisch.

Es geht aber auch schneller. Zum Beispiel via Eilantrag und dem Erlass einer einstweiligen Anordnung. Darüber kann im Verlauf weniger Tage oder auch Wochen entschieden werden, allerdings unabhängig vom möglichen Erfolg der Klage, über die letztlich in einem Hauptsacheverfahren entschieden wird.
Eins noch: Die Klage muss binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem dem Antragsteller die gerügte Maßnahme des Antragsgegner bekannt wurde.

Die CSU drohte erstmals letzten Oktober mit einer Klage. Es bleibt ihr also nicht mehr viel Zeit. Wenn sie es ernst meint, müsste spätestens im März die Klage in Karlsruhe eingereicht werden.


Info:
Was sagt der Verfassungsrechtler?

Der Erlanger Staatsrechtler Andreas Funke hält ein Beschreiten des Klagewegs durch die CSU in einem Bund-Länderstreit für durchaus möglich. Schließlich sei der Bund verpflichtet, auf die Interessen der Länder Rücksicht zu nehmen. Beim Hinweis aus München, der Bund gefährde die Eigenstaatlichkeit der Länder, kommen Funke allerdings erste Bedenken.
Inwieweit diese Eigenstaatlichkeit überhaupt gegeben sei, sei durchaus strittig. Auch die Begründung einer Klage mit der zu hohen Zahl von Flüchtlingen dürfte einer verfassungsrechtlichen Prüfung kaum standhalten. Die Interessen der Länder seien derzeit aus zwei Gründen nicht verletzt:

a) Trotz der hohen Flüchtlingszahl bewege sich noch alles im Bereich des Machbaren.

b) Der Bund ist nicht untätig, sondern bemüht sich im Rahmen geltenden Rechts um eine europäische Lösung.

Funkes Einschätzung Die Klage der CSU hat nur wenig Aussicht auf Erfolg.


Kommentar:

Gerichte helfen nicht

Die Lage könnte für die derzeit in Verantwortung stehenden Politiker verzwickter nicht sein. Warum das so ist? Über eine Million Flüchtlinge kamen allein im vergangenen Jahr nach Deutschland. Sie menschenwürdig unterzubringen und mit einer Perspektive auszustatten - eine Mammutaufgabe. Und: Ein Ende des Flüchtlingszustroms ist nicht in Sicht. Angesichts auch des finanziellen Kraftakts, der mit dieser Herausforderung verbunden ist, mehren sich naturgemäß die kritischen Stimmen im Land. In dem Maß, in dem rechte Gruppierungen bei Meinungsumfragen zulegen, werden die etablierten Parteien nervös. Allen voran die CSU, die schon immer über ein gut justiertes Frühwarnsystem zur Erkennung machtgefährdender politischer Entwicklungen verfügte. Deshalb jetzt auch die Drohung mit einer Verfassungsklage in Karlsruhe. Horst Seehofer muss mit geballter Faust in der Hosentasche registriert haben, dass im Januar erneut 50 000 Flüchtlinge, aus Österreich kommend, Deutschland erreichten. Vor einem Jahr waren es im Januar gerade mal 1800, die bei uns ankamen.

Handeln heißt demnach das Gebot der Stunde. Gerichte helfen jedenfalls nicht weiter. Deren Anrufung ist allenfalls Ausdruck einer beängstigenden politischen Hilflosigkeit. Aber was tun? Der sicher beste Lösungsvorschlag: Den Krieg in Syrien, die Wurzel allen Übels, beenden. Nur, dieser Konfliktherd entzieht sich dem unmittelbaren Einflussbereich deutscher Politik. Hier wird vielmehr ein brutaler Stellvertreterkrieg regionaler und internationaler Großmächte ausgetragen. Der Iran und Saudi-Arabien haben hier ebenso ihren Hut in den Ring geworfen wie Amerikaner und Russen. Das Ende:völlig offen.

Bleibt also nur Europa selbst. Zum Beispiel Frontex. Diese europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der EU müsste ganz rasch zu einem effektiven operationellen Grenz- und Küstenwachsystem ausgebaut werden. Das wäre zwar nicht billig, aber wesentlich zur Unterstützung von mit der Überwachung der EU-Grenzen überforderten Ländern wie Griechenland. Auch wenn es der Rest Europas nicht gerne hört, Deutschland allein wird das Flüchtlingsproblem nicht lösen. Es braucht Kontingente, eine europäische Lösung. Wer sich dem verweigert, provoziert nationalstaatliche Alleingänge. Und damit das Ende von Schengen, das Ende des Euro, das Ende Europas.