Smartphone statt Wanderkarte: Reiseführer der Zukunft kommen aus Erlangen

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1979 trampte Michael Müller nach Portugal und tippte seine Reisenotizen mit der Schreibmaschine ab. Heute gibt es neben über 200 Büchern aus seinem Verlag auch Apps mit allen Reiseinfos. Foto: Matthias Hoch
1979 trampte Michael Müller nach Portugal und  tippte seine  Reisenotizen mit der Schreibmaschine ab. Heute gibt es neben über 200 Büchern  aus seinem Verlag  auch Apps mit allen Reiseinfos.  Foto: Matthias Hoch
Michael Müller betrachtet auf dem Bildschirm die 18 bereits "relaunchten" Städteführer, die auch online abrufbar sind. Weitere 18 folgen im Winter Foto: Matthias Hoch
Michael Müller betrachtet auf dem Bildschirm die  18 bereits "relaunchten" Städteführer, die  auch online abrufbar sind.   Weitere 18 folgen im Winter Foto:  Matthias Hoch
 
In den Anfangszeiten der digitalen Reiseführer gab es in den Büchern Gutscheincodes für die Apps. Jetzt kann man sie als eigenständige Angebote kaufen. Foto: Matthias Hoch
In den Anfangszeiten der digitalen Reiseführer  gab es in den Büchern Gutscheincodes für die Apps. Jetzt kann man sie  als eigenständige Angebote kaufen. Foto: Matthias Hoch
 
Michael Müller ist stolz auf die digital abrufbaren Reiseführer. Sie enthalten alle Infos aus den gedruckten Büchern und können offline genutzt werden. Foto: Matthias Hoch
Michael Müller ist stolz auf  die digital abrufbaren Reiseführer.   Sie enthalten alle Infos aus den gedruckten Büchern und können offline genutzt werden.  Foto: Matthias Hoch
 
So sieht die Startseite der Travel-Apps aus. Foto: Matthias Hoch
So sieht die Startseite der Travel-Apps aus. Foto: Matthias Hoch
 
Bücher und Apps haben im Erlanger Michael-Müller-Verlag einen ähnlich hohen Stellenwert. Der Umsatz wird allerdings mit den gedruckten Reiseführern generiert. Foto: Matthias Hoch
Bücher und Apps  haben im Erlanger  Michael-Müller-Verlag einen ähnlich hohen Stellenwert. Der Umsatz wird allerdings mit den gedruckten Reiseführern generiert. Foto: Matthias Hoch
 
Mit der Travel-App findet man den Weg auch durch New York. Foto: Matthias Hoch
Mit der Travel-App findet man den Weg auch durch New York. Foto: Matthias Hoch
 

Der Erlanger Michael Müller leistet Pionierarbeit in der Entwicklung von Travel-Apps. Auf der Frankfurter Buchmesse kann man sie testen.

Vor gut 38 Jahren, mit Haaren so lockig und leicht wild, wie sie heute noch sind, stellte sich ein junger Autoschrauber aus der Fränkischen Schweiz an den Straßenrand und hielt seinen Daumen raus. Er wollte nach Portugal trampen, Land und Leute kennenlernen und einen Reiseführer mit seinen Erfahrungen verfassen. Die Notizen tippte er mit der Schreibmaschine, fügte handschriftliche Tipps und Zeichnungen hinzu und ging mit den ersten Exemplaren seines schwarzweißen Portugal-Bandes im VW-Käfer auf Verkaufstour.
Fast vier Jahrzehnte und über 220 City-, Wander-, Regional- und Ländertitel später ist Michael Müller längst Chef des gleichnamigen Verlags in Erlangen. Seine Daumen und alle anderen Finger spielen immer noch eine Rolle: Statt zum Trampen braucht er sie heute zum Navigieren auf dem Computer und Smartphone. Müller ist ein Pionier in der Entwicklung von Reise-Apps, die er ab heute auf der Frankfurter Buchmesse vorstellt.


Entwicklung schon vor zehn Jahren

In den Tagen davor sitzt er in seinem Büro in der früheren Firma des Bleistiftspitzer-Erfinders Möbius, wo der Verlag seit 1989 angesiedelt ist. Die Tür des Chefs steht offen, quer über das Gebäude verteilt arbeiten 15 Festangestellte in Redaktion, Vertrieb, Marketing und IT. "Meine Lektoren belächeln mich", sagt der 64-Jährige. "In der Tat gibt es durch die Apps keine nennenswerten Umsätze. Aber ich bin einfach technikaffin und davon überzeugt, dass sich in diesem Bereich noch viel bewegen wird."
Müller scheint einen wirklich langen Geduldsfaden zu haben. "Wir haben schon vor zehn Jahren Reiseführer auf mobilen Endgeräten veröffentlicht", erinnert er an die ersten Gehversuche. "Aber das war sehr sperrig und von der heutigen Technik natürlich weit entfernt." Er berichtet von anderen Verlagen, die es ebenso versucht und das Geschäft mit digitalen Reiseführern wieder aufgegeben hätten. Zwar lesen immer mehr Menschen online, "aber mit Reiseführern kann man von dieser Entwicklung schwer profitieren."


Sechs Millionen Euro Umsatz

Dennoch, und da kann er wieder lächeln, sei sein Verlag bislang von Ertragseinbrüchen verschont geblieben. "Die Verkäufe sind stabil. 500 000 Bücher im Jahr und sechs Millionen Umsatz, das ist schon ordentlich", meint der Verleger. "Uns kennt man eher in Süddeutschland. Hier haben wir einen Heimvorteil und profitieren außerdem von der noch intakten Buchhandelsstruktur." Bis ein Reisebuch im Laden steht, vergeht fast ein Jahr. An der praktischen Erstellung hat sich im Vergleich zu Müllers Erstlingswerk nicht viel geändert.
Die Autoren grasen etwa drei Monate vor Ort alles ab, essen, schlafen zur Probe, besichtigen Museen, machen Fotos. Weitere sechs Monate dauert das Schreiben. Etwa alle zwei Jahre werden die Bücher aktualisiert. Die Autoren bekommen einen Vorschuss, der einen Teil ihrer Reisekosten deckt. "Wer länger dabei ist oder mehrere Titel im Programm hat, kann von seiner Arbeit leben", erklärt Müller. Als Beispiel nennt er seinen Mitstreiter der ersten Stunde, Eberhard Fohrer, dessen Kreta-Führer bereits in der 20. Auflage erschienen ist.


Dreifacher Aufwand für Fernziele

Zu den anfänglich europäischen Zielen seien in den letzten Jahren viele aus dem Fernreisebereich, aktuell der Westen Kanadas und der Südwesten der USA, dazugekommen. "Wir haben da lange Zeit den Aufwand gescheut, der für außereuropäische Titel dreimal so hoch ist", erklärt Müller. Etwas abfedern lasse er sich durch Autoren, die im Ausland eine Agentur haben oder selbst Reiseführer sind. Sie könnten ihre tägliche Arbeit mit Recherche und Schreiben verknüpfen. Genauso die Wanderführer, die gern über ihr Hobby schreiben.
Die Wander- und Städteführer sind es auch, mit denen Müller online geht. "Vor zehn Jahren haben wir in einem Forschungsprojekt zusammen mit dem Fraunhofer Institut einen Prototyp verkaufsfertig gemacht." Seitdem reiße die Entwicklung nicht ab. "Die Technik und Datenbanken sind ein Fass ohne Boden." Vier IT-Spezialisten in Erlangen und drei in Berlin arbeiten an den Apps. Diese können Zuhause am PC zur Reisevorbereitung sowie unterwegs auf mobilen Geräten genutzt werden.


Ein Punkt im Gewusel

Die Travel-Apps beinhalten Adressen und Kurzinfos aus den Führern. Man ruft sie als kategorisierte Points of Interest ("POIs") in einer Karte auf. Müller öffnet am Bildschirm einen Städteführer: Ein Knäuel von bunten Punkten mit Ziffern wird sichtbar. "Es sind insgesamt 8000 POIs in den Wander- und Cityführern", sagt er. Mit der Maus fährt er über das Gewusel und klickt einen Punkt an, die Beschreibung öffnet sich. "Durch einen integrierten Kompass und interaktive Karten kann man zwischen Text und Karte hin- und herspringen und die POIs finden", erklärt der Chef. "Verlaufen ist somit quasi unmöglich."


Bücher bleiben Hauptgeschäft

Müller ist mit der Entwicklung seines Onlineangebots zufrieden. Während der Zugang anfänglich als Gutscheincode in den Reisebüchern angelegt war, kann man die Apps heute für knapp zehn Euro separat kaufen. Auch wenn damit kein nennenswerter Umsatz erzielt wird, sieht sich der Technikfreak mit seinen digitalen Reisebüchern auf dem richtigen Weg. "Wir aktualisieren gerade 36 Städteführer im Internet." Außerdem hat er schon die nächste Geschäftsidee: Er möchte einige Wanderführer in Englisch und Spanisch übersetzen lassen, um sie international als Apps oder auch als Tourenvorschläge für Reiseführer anderer Verlage verkaufen zu können.
Trotz seiner digitalen Aktivitäten bleiben die Reisebücher Müllers Hauptgeschäft. "Das gedruckte Medium hat mehr Glaubwürdigkeit, deshalb wird es nicht sterben", ist er überzeugt. "Aber es wird Marktanteile verlieren."


Der Chef freut sich aufs Reisen

Müller will die Entwicklung seiner Branche weiter begleiten, auch wenn er im Januar die Geschäftsführung seines Verlages abgibt. Für die Zeit danach hat er schon Pläne: "Ich hoffe, ich kann dann meine eigenen Titel über Portugal und die Toskana wieder komplett selbst aktualisieren." Daumen raus und ab ...