Vorsicht, Täuschung: So trickst unser Gehirn

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Für diese Bildmontage verwendete der Wahrnehmungsforscher Prof. Karl Gegenfurtner von der Uni Gießen anders als auf dem Originalbild einen eher dunklen Hintergrund. Und siehe da: Auch wer vorher - mit hellem Hintergrund - ein blau-schwarzes Kleid erkannt hat, sieht es nun in Weiß und Gold. Fazit: Wir nehmen eine Farbe nie absolut wahr, sondern immer im Kontext ihrer Umgebung.
Für diese Bildmontage verwendete der Wahrnehmungsforscher Prof. Karl Gegenfurtner von der Uni Gießen anders als auf dem Originalbild einen eher dunklen Hintergrund. Und siehe da: Auch wer vorher - mit hellem Hintergrund - ein blau-schwarzes Kleid erkannt hat, sieht es nun in Weiß und Gold. Fazit: Wir nehmen eine Farbe nie absolut wahr, sondern immer im Kontext ihrer Umgebung.
Wer ein Exemplar des viel diskutierten Kleides aus nächster Nähe betrachtet, sieht eindeutig: Es ist blau-schwarz. Rainer Rosenzweig, Chef des Nürnberger Museums "Turm der Sinne", hat es nach seinem Auftritt in der Fernsehsendung Stern TV geschenkt bekommen und stellt es jetzt im Turm aus. Foto: Barbara Herbst
Wer ein Exemplar des viel diskutierten Kleides aus nächster Nähe betrachtet, sieht eindeutig: Es ist blau-schwarz. Rainer Rosenzweig, Chef des Nürnberger Museums "Turm der Sinne", hat es nach seinem Auftritt in der Fernsehsendung Stern TV geschenkt bekommen und stellt es jetzt im Turm aus. Foto: Barbara Herbst
 
Rainer Rosenzweig, Chef des Museums "Turm der Sinne" in Nürnberg, widmet sich der Wahrnehmungsforschung. Foto: Evelin Frerk
Rainer Rosenzweig, Chef des Museums "Turm der Sinne" in Nürnberg, widmet sich der Wahrnehmungsforschung. Foto: Evelin Frerk
 
Der Bamberger Psychologe Claus-Christian Carbon hat mit einer Wissenschaftsgruppe Experimente zum weiß-blau-Sehen gemacht. Foto: Matthias Hoch/Archiv
Der Bamberger Psychologe Claus-Christian Carbon hat mit einer Wissenschaftsgruppe Experimente zum weiß-blau-Sehen gemacht. Foto: Matthias Hoch/Archiv
 
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
 
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
 
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
 
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
Dieses Beispiel für eine Sinnestäuschung ist Teil einer mobilen Ausstellung des Turms der Sinne in Nürnberg.
 

Während weltweit Millionen im Internet über die Farben eines Kleides diskutieren, hängt ein Exemplar des Streitobjekts im Nürnberger "Turm der Sinne" und überrascht die Bamberger Uni mit experimentellen Daten zum Phänomen.

Eng geht es zu im "Turm der Sinne" am Rande der Nürnberger Altstadt. Vorbei an bunten Bildern, optischen Täuschungen, dann ein Hallo für den Homunkulus, hinauf über enge Stiegen: Es hängt in der zweiten Etage, das Kleid. Das Kleid, genauer: Ein Exemplar desselben, über das dieser Tage heftig diskutiert wird.

An den Farben des Kleides scheiden sich die Geister. Es gibt Menschen, die es für weiß-gold halten, andere sehen Blau-Schwarz. Und das ist es auch. Blauer und schwärzer geht gar nicht, wie der Betrachter im Museum feststellt. Wie um alles in der Welt kann man das anders interpretieren? Rainer Rosenzweig steht daneben, nickt und lächelt: Der Wahrnehmungsforscher und Chef des Turms der Sinne kennt die Sache mit den Farben. Und er kann sie erklären.


Erklärung im Fernsehen

Weil er das kann, wurde Rosenzweig vor zwei Wochen in die Sendung Stern TV eingeladen. Die Redaktion hatten sich auf eine Spurensuche gemacht: Nachdem eine schottische Band das Foto des besagten Kleides im Internet gepostet hatte, entbrannte eine hitzige Diskussion über die Farben. Das Bild war stark überbelichtet und mit einem Handy vor einem dunklen Hintergrund aufgenommen, was das Kleid hell erscheinen ließ.

Stern TV kaufte das Kleid nach und ließ sich in einer Runde mit den Musikern und Rainer Rosenzweig die Phänomenologie der Wahrnehmung erklären. Zum Dank für seinen Auftritt schenkten ihm die Fernsehleute das Kleid. Er brachte es mit nach Nürnberg und stellt es im Turm der Sinne aus.


Verstörende Erkenntnisse

Seitdem rennen ihm auch andere Medien die Türen ein - alle wollen lernen, wie das ist mit dem Sehen. Und den Farben. Und dem hinterlistigen Gehirn. Rosenzweig weiß das nur zu gut: Er hatte sich das berühmte Handy-foto des Kleids mit seiner Frau angeschaut und tatsächlich wichen auch ihre Wahrnehmungen voneinander ab. Frau Rosenzweig sagte, es ist weiß-gold, für Herrn Rosenzweig war es von Anfang an blau-schwarz. "Es ist verstörend, wenn man zu zweit vor dem Bildschirm sitzt und jeder etwas anderes sieht. Das ist schwer auszuhalten. Gleichzeitig zeigt es ein schönes Wahrnehmungsphänomen, aus dem wir mehr über uns lernen können."

Die Wahrnehmung. Dass sie so unterschiedlich ausfallen kann, erklärt sich durch eine grundlegende Erkenntnis: "Wir sehen nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn", sagt Rosenzweig. Alles, was von Sinnesorganen wie Augen, Ohren oder Nase ausgeht, sind Informationen, die aus dem Gehirn geliefert werden. Davon rekonstruiert es die Welt. "Das ist ein raffinierter Prozess", sagt Rosenzweig. "Trotzdem kann dabei auch mal etwas schiefgehen. Und dann kommt es zu Täuschungen."


Die Hypothesen der Uni Bamberg

Ortswechsel: Während Menschen in aller Welt noch über das Kleid diskutieren, hängt eine Kopie nicht nur längst in Franken, aus der Region kommen auch erste experimentelle Daten zum Phänomen. Claus-Christian Carbon, Professor für Psychologie an der Uni Bamberg und Wahrnehmungspsychologe, hat mit einer Wissenschaftsgruppe fünf Studien mit 48 Personen durchgeführt, davon jeweils 24 "Weiß"- und 24 "Blau"-Betrachter. Deshalb geben sich auch in Bamberg die Medien die Klinken in die Hand.

"Wir haben systematisch alle gängigen und wissenschaftlich sinnvollen Hypothesen, die aufgestellt wurden, getestet", sagt Carbon. Als da wären:

Die Sensitivitätshypothese: Blau-Seher sehen insgesamt eher blau bei etwas, was ambivalent weiß-blau ist.
Die Anchoring-Hypothese: Der Weiß-Abgleich geschieht über Kontextinformationen und den am hellsten erscheinenden Bereich im Bild.
Die Lichtquellen- und Schattierungs-Hypothese: Manche Personen interpretieren das Bild als ein Kleid, was von gelblichem Licht angestrahlt wird, andere sehen es bläulich beleuchtet. Letztere sind die Weiß-Seher. Zusätzlich interpretieren manche Personen (diejenigen, die das Kleid weiß sehen), dass die bläulichen Bereiche eigentlich blaue Schatten sind, dass das Original aber weiß ist.


Ein bisschen von jedem Effekt

Die Experimente der Bamberger Wissenschaftler brachten folgende Ergebnisse: Der Blickwinkel hat einen großen Einfluss, ist aber nicht verantwortlich für den Effekt der unterschiedlichen Farbwahrnehmung. Der Hintergrund des Bildes hat dagegen einen eher kleinen Einfluss.

"Der Farbeffekt des Kleides kommt vor allem durch die unterschiedliche Interpretation von Schattierungen zustande", resümiert Carbon. Zusätzlich seien Blau-Seher ein klein wenig sensitiver für ambivalente Weiß-Blau-Töne und entscheiden sich folglich für Blau. "Das Spannende ist", sagt der Psychologe, "dass alle Effekte zusammenwirken. Also ein bisschen Anchoring, ein bisschen mehr Sensitivität bei fast unentscheidbaren Farben und dann eben noch die mehr oder weniger effektive Integration der Lichtquellen- und Schattierungsinformationen."


Beleuchtungskorrektur im Gehirn

Zurück im Turm der Sinne. Ganz oben, der Blick fällt aus dem Fenster auf die Nürnberger Burg, kommt man ins Grübeln. Rainer Rosenzweig erklärt, dass der Mensch alles im Kontext wahrnimmt. "Und diesen Kontext beurteilt das Gehirn, so dass dieselbe Farbe braun oder orange sein kann." Oder dass jemand im Kerzenlicht schwarze Haare hat, im Sonnenschein hellbraune. "Damit man den anderen als immer dieselbe Person wahrnimmt, unternimmt das Gehirn eine Beleuchtungskorrektur", sagt Rosenzweig.

Außerdem seien Farben Konventionen - im Farbspektrum gebe es keine klaren Linien, an denen Rot endet und Rosa beginnt. "Je nachdem, wo man vorher hingeschaut hat, und abhängig vom Kontext behauptet man eine andere Farbe." Mit Intelligenz hat das übrigens nichts zu tun, um beim Beispiel des Kleides zu bleiben: "Wer es blau-schwarz gesehen hat, ist deswegen weder klüger noch dümmer", betont Rosenzweig. "Es ist somit letztlich Zufall, ob das Gehirn etwas so oder anders erkennt. Der Grad der Überzeugung sagt nichts über die Wahrheit aus."


Die philosophische Seite

Wenn also, um auf das Grübeln in diesem mit Sinnestäuschungen vollgestopften Turm hoch über Nürnberg zurückzukommen, wenn also Wahrnehmung so individuell ist - muss man vielleicht sorgfältiger damit umgehen? Braucht man gar nicht zu beharren auf einem vermeintlichen Fakt, den das Gegenüber einfach anders empfindet? "Ja", sagt Rosenzweig. "Der Wahrnehmungsprozess passiert unbewusst und ist doch für unser Weltbild verantwortlich, für die Bewertung von Menschen und Situationen." Für den Forscher bedeutet das: "Manchmal sollte man einen Schritt zurücktreten und nicht alles so absolut sehen in der Welt. Das täte auch der Politik gut."


Das Museum "Turm der Sinne"

Museum Der "Turm der Sinne" bezeichnet sich als kleinstes Science Center der Welt. Das interaktive Museum ist in einem historischen Nürnberger Stadtmauerturm (Spittlertorgraben/Ecke Mohrengasse) untergebracht. Im Turm erleben Besucher verblüffende Täuschungen der menschlichen Wahrnehmung und können aktuell "Das Kleid" sehen. Mehr Infos gibt es unter www.turmdersinne.de.

Öffnungszeiten Der "Turm der Sinne" ist von Dienstag bis Freitag zwischen 13 und 17 Uhr geöffnet, an Wochenenden und Feiertagen sowie täglich in den Schulferien von 11 bis 17 Uhr. Für Gruppen ab sechs Personen oder bei weiter Anreise empfiehlt sich eine telefonische Voranmeldung unter 0911/9443281.