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Warum Bayerns Wind an der Nordseeküste weht


Autor: Günter Flegel

Ingolstadt, Dienstag, 10. Februar 2015

Hinter Horst Seehofers rätselhaftem Taktieren um Kraftwerke und neue Stromtrassen steckt ein kühner Plan: "Power to Gas" könnte alle Probleme lösen. Die Technik dazu liefern bayerische Unternehmen.
Windpark in der Nordee Foto: Ingo Wagner, dpa


Die Lösung des Rätsels, warum Horst Seehofer bei der Energiewende auf der Leitung steht, ist so nahe liegend, das bisher noch keiner darauf gekommen ist: In Ingolstadt tüfteln Experten in der Ideenschmiede von Audi an der Technik, mit deren Hilfe sich die Energieprobleme Deutschlands in Luft auflösen könnten.

Im wahrsten Sinn des Wortes: Das Zauberwort heißt "Power to Gas", Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder Methangas. Das ist nichts Neues, jeder Schüler kennt die Elektrolyse mit anschließender Knallgasprobe: Das entdeckte der deutsche Chemiker Johann Wilhelm Ritter bereits um 1800.


Strom im Überfluss

In der aktuellen Diskussion um die Umsetzung der Energiewende erhält die Verwandlung von Strom in Brennstoff neue Nahrung: Statt ihn abzuschalten oder zu verschenken, lässt sich der zeitweise im Überfluss produzierte Strom aus Wind- und Sonnenkraftwerken in Gas umwandeln und speichern. Die Technik ist da; um die Frage, ob sie für die Energiewende taugt, tobt ein Expertenstreit.

Für die bayerische Staatsregierung könnte Power to Gas die Lösung aller Probleme sein: Eine Expertengruppe der bayerischen Energieagentur "Energie innovativ" hat 2013 eine Handlungsempfehlung zur Nutzung des Gasnetzes als Energiespeicher herausgegeben. ",Power to Gas' bietet einen vielversprechenden Lösungsansatz ... auch zum Erhalt der Versorgungssicherheit", steht in dem Papier, das der Redaktion vorliegt.


High-Tech-Initiative

Das klingt in Berlin ähnlich: "Umwandeln statt abschalten", heißt eine Ende 2014 gestartete High-Tech-Initiative, mit der die Bundesregierung die Power-to-Gas-Technologie serienreif machen will. Sonst sind sich der Bund und Bayern ja bei der Energiepolitik alles andere als grün. Seehofer will keine neue Stromleitungen, Bundeswirtschaftsminister Sigmer Gabriel (SPD) lehnt die von Seehofer geforderten neuen Gaskraftwerke ab. Es muss ein Ausweg aus dem Dilemma gefunden werden: Der Freistaat versorgt sich etwa zur Hälfte mit Atomstrom. Damit ist 2022 Schluss. Wo soll der Strom herkommen?

Power to Gas könnte zum Stein der Weisen werden: Wenn im Norden Deutschlands zu viel Windstrom produziert wird, könnte der in Wasserstoff oder Methan umgewandelt werden. Dieses Gas kann vielfältig verwendet werden, für Erdgasfahrzeuge, Heizung oder Industrie. Es kann auch gespeichert werden; in unterirdischen Kavernen oder im Erdgasnetz selbst, das in Deutschland 370 000 Kilometer lang ist (zum Vergleich Stromnetz: 1,8 Millionen Kilometer). Bei Bedarf könnte mit Windgas in Gaskraftwerken wieder Strom produziert werden.


Gewaltiger Speicher

Nach Angaben der Deutschen Energie-Agentur (Dena) transportiert das Erdgasnetz mit 1000 Terawattstunden im Jahr (Terawatt = Billionen Watt) bereits heute mehr Energie als das Stromnetz (670 Terawattstunden) und hat enormes Ausbaupotenzial - ohne dass neue Leitungen errichtet werden müssten. Die Experten der Dena beziffern die Speicherkapazität des Gasnetzes auf 200 Terawattstunden; im Stromnetz sind es lediglich 0,04 TWh. Gas könnte zum händeringend gesuchten Stromspeicher der Zukunft werden; ohne teure Batterien, ohne Landschaftszerstörung durch Pumpspeicherkraftwerke.

Bayern bräuchte keine zusätzlichen Windräder und keine neue Stromleitungen, so die Vision in München. Besonderen Charme hat die Technik deshalb, weil unter anderem Audi in Ingolstadt und Siemens in Erlangen das Know-How dafür entwickeln. Audi betreibt in Niedersachsen die weltweit größte Pilotanlage für Power to Gas.


Anschubfinanzierung

Die ist mit einer Leistung von sechs Megawatt zwar immer noch sehr klein (das Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld hat eine Leistung von 1300 Megawatt) und weit von der Wirtschaftlichkeit entfernt. Experten sehen die Technik vor dem Durchbruch, insbesondere dann, wenn sie zum Anschub ähnlich gefördert wird wie Windräder oder Solaranlagen. Entsprechende Programme arbeitet die Europäische Union aus.

Wie schnell und zu welchem Preis diese Lösung für die bayerischen Energieprobleme zur Verfügung steht, ist die entscheidende Frage - nicht zuletzt auch für den Stromtrassenbau, bei dem Bayern auf der Leitung steht.