Darf jeder Mensch selbst entscheiden, wann und wie er stirbt? Und vor allem: Darf man einem Menschen beim Suizid helfen, wenn er sich für den Freitod entschieden hat? Um diese Frage geht es, wenn das Bundesverfassungsgericht am 16. und 17. April über das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe verhandelt. Schon im Februar forderte die FDP im Bundestag eine gesetzliche Klarstellung. Erst seit Ende 2015 steht Sterbehilfe als Dienstleistung unter Strafe (§ 217 StGB). Dagegen haben schwer kranke Menschen, Sterbehilfe-Vereine und Ärzte geklagt. Doch schon jetzt ist klar: Egal wie das Urteil ausfällt - die emotionale Debatte wird damit nicht beendet sein. Zu unvermittelt kollidieren bei der Sterbehilfe unterschiedliche Weltanschauungen, religiöse und moralische Überzeugungen. Was wiegt schwerer - das Recht auf Selbstbestimmung oder der Schutz des Lebens?Zum Thema:"Ich will nicht mehr länger leben" - 104-Jähriger lässt sich in Schweiz mit Infusion tötenDabei wird ein Gegensatz konstruiert, der so gar nicht existieren muss. Im Gegenteil: Vielleicht kann die Legalisierung der Sterbehilfe am Ende sogar Leben retten. Sterbehilfe lenkt den Blick auf die Bedingungen der Pflege Eines Vorweg: Natürlich geht es nicht um Fälle, in denen Menschen aufgrund einer akuten Notlage oder einer psychischen Erkrankung Selbstmordgedanken haben. Es geht um Menschen, die wegen schwerwiegender, unheilbarer Erkrankungen ein Leben fristen müssen, das sie selbst nicht mehr als lebenswert empfinden. Dass sich diese Menschen reihenweise in den Tod stürzen würden, nur weil sie durch einen Arzt bei der Durchführung unterstützt würden, ist - gelinde gesagt - ziemlicher Unsinn. Kein Mensch will sterben, er will nur nicht mehr unter bestimmten (schlechten) Bedingungen leben. Und genau das ist der entscheidende Punkt: Wie leben Menschen im hohen Alter oder mit schweren Erkrankungen? Wird alles getan, um ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen? Oder werden sie in Heime abgeschoben, in denen Personalmangel herrscht und die mit Unterfinanzierung zu kämpfen haben? Wenn man Angst hat, dass zahllose Menschen den Freitod wählen, sollte man die Sterbehilfe legalisieren, bedeutet das doch: Man weiß, dass man nicht genügend tut, um diesen Menschen zu helfen. Sterbehilfe als Mittel, sich zur Wehr zu setzen Im Jahr 2017 gab es in Deutschland 3,41 Millionen pflegebedürftige Menschen - im Jahr 1999 waren es noch 2,02 Millionen. Die Zahl wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Gleichzeitig wächst auch die Zahl der schwerst Pflegebedürftigen. Wie wollen wir als Gesellschaft mit diesen Menschen umgehen? Und vor allem, wissen wir überhaupt, wie wir momentan mit diesen Menschen umgehen? Welche Chance haben schwere Pflegefälle, die keine Angehörigen haben, sich gegen schlechte Behandlung und untragbare Zustände zu wehren?Theoretisch sind die Möglichkeiten des Widerstands beschränkt, praktisch sind sie kaum vorhanden. Der assistierte Suizid könnte - auch wenn es makaber klingt - diesen Menschen eine Stimme geben. Wenn tausende Menschen bis zu ihrem Tod in Heimen dahinsiechen, wird dies leider oft als Normalität begriffen. Der Sterbewunsch würde dieses Leid sichtbar und zählbar machen. Und er gäbe den Betroffenen auch eine Art "Druckmittel" - und das Gefühl, der Situation nicht ausgeliefert zu sein. Am Ende könnte es deshalb sein, dass die Sterbehilfe mehr Leben rettet als kostet: Weil die Betroffenen selbst die Gewissheit haben, im Notfall immer noch die Möglichkeit zu haben, den Tod zu wählen. Weil die Öffentlichkeit stärker sensibilisiert würde für das Leid dieser Menschen. Und auch weil Heime und Institutionen in Erklärungsnöte kämen, wenn sich eine hohe Zahl von Menschen lieber den Tod wünschte, als sich weiter von ihnen pflegen zu lassen. Deshalb: Sterbehilfe sollte in Deutschland legalisiert werden - um dann alle Kraft und Mittel dafür einzusetzen, dass sich Menschen gar nicht ihren eigenen Tod wünschen.